Hegel zum 250. Geburtstag

Das 250 jährige Hegel-Jubiläum hat Relevanz auch für uns heute. Ich habe mich mit der philosophischen Position der 1840er Jahre, also um Georg Wilhelm Friedrich Hegel, die Junghegelianer und ihre diversen Spielarten, darunter Karl Marx und Friedrich Engels gegen Max Stirner eingehend wissenschaftlich beschäftigt, eben weil diese Auseinandersetzung zwischen Links- und Rechtsshegelianern im Grunde unser Denken heute weitestgehend immer noch prägt und das Epochennarrativ Moderne/Postmoderne eingeläutet hat.

Hegel war und ist Ausgangspunkt des Forschungsprogramms von Marx und Engels gewesen und gleichzeitig Endpunkt für einen neuen Anfang: Nachmetaphysisches Denken, das mit Max Stirner – weit vor Friedrich Nietzsche – eingesetzt hat. Daher beginnt die Auseinandersetzung Stirner contra Marx- eine postmoderne Revision aus meinem Buch

folgerichtig und zwingend mit Hegel. Der geneigte Leser des folgenden Abschnitts, der hier gerne angelesen werden kann, ist eingeladen, den hier begonnenen Faden weiterzuverfolgen. Dafür bietet sich als vertiefte Wochenendlektüre mit mehr Zeit und Muße das Herunterladen an der oben genannten Verlinkung an.

……….

„Das Werk der modernen Zeit“, so stellte es Hegel am Ende seiner Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie dar, bestand darin, die „Intellektualität der Welt“ zu denken, um so eine intelligente Welt zu erzeugen, „wie eine Natur-, die erste Schöpfung des Geistes.“[i] In ihm und durch ihn und mit ihm, Hegel, erhält die Welt- und – als ihre innere Eigentlichkeit – die Philosophiegeschichte erst ihre Vernünftigkeit, ihren Sinn an und für sich. Ja es scheint, als ob es Geschichte für Hegel überhaupt nur gibt, um in ihm mit dem archimedischen Punkte, der alles überblickt, zu ihrem Ziel, dem Ende des Kampfes des entzweiten Geistes zu gelangen. „Beschlossen“ (ibidem p. 461) ist da ein Zeit– besser: ein Weltalter worden, dass sich letztendlich als die „wahrhafte Theodizee, die Rechtfertigung Gottes in der Geschichte“ erweist, wie es analog am Ende der Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte heißt – Versöhnung mit der Idee, „dass das, was geschehen ist, und alle Tage geschieht, nicht nur nicht ohne Gott, sondern wesentlich das Werk seiner selbst ist.“[ii] Das Werk der „modernen Zeit“ ist mit Hegel an seinem Ziel, die Moderne so zu ihrem Ende gekommen.

An dieser Stelle treten die Schüler Hegels sein Erbe an – die so genannten Junghegelianer. Zuerst Erbhüter, dann Konkursverwalter, weisen sie die diversen Konsequenzen auf, die sich mit und aus Hegel als letztem „System“-Denker ergeben. Es ist diese Palette von Entwürfen, die – als Post-Hegel´sches Möglichkeitsfeld – den weiteren sozialenphiloso-phischen sowie gesellschaftstheoretischen Diskurs ausdifferenzieren.

In seinen Vorlesungen zum philosophischen Diskurs der Moderne weist Jürgen Habermas denn auch zu Recht daraufhin, „dass wir Zeitgenossen der Junghegelianer geblieben sind“.[iii] Allerdings hat bereits David Koigen im Vorwort zu seiner Geschichte der Sozialphilosophie des Junghegelianismus gemutmaßt, dass seine Studien „zu ihren Untersuchungsgebiet eine Periode (haben), die im Zusammenhang mit dem ihr nachfolgenden Phasen volle Bedeutung und Verständnis gewinnen könnte.“[iv]   Dieses Ereignis im emphatischen Sinne bringt auch das Erbe Hegels in der junghegelianischen Kontroverse auf den Punkt.

Das Ende nicht nur des geschichtsmächtig gewordenen Sozialismus ist als „Ereignis selbst viel zu gross, zu fern, zu abseits vom Fassungsvermö­gen Vieler, als dass auch nur seine Kunde schon angelangt  heissen dürfte; geschweige denn, dass Viele bereits wüssten,   w a s  ei­gentlich sich damit begeben hat – und was Alles, nachdem dieser Glau­be untergraben ist, nunmehr einfallen muss, weil es auf ihm gebaut, an ihn gelehnt, in ihn hineingewachsen war.“[v]

In der Tat entspricht die Dimension des derzeitigen Utopieverlustes dem, was seinerzeit Friedrich Nietzsche im Gefolge des Todes Gottes in der Form des Nihilismus heraufkommen sah. Die hier postulierte Aktualität der Kontroverse im Denken unmit­telbar nach Hegel mag sich im Zuge dieser Entwicklungen beweisen und ihren Beitrag leisten: zur offenbar notwendig gewordenen »Scha­densabwicklung« dieses – einer vermeintlichen Moderne zugemuteten – Projekts.

Nicht zuletzt das  –  ja feuilletonistisch quasi schon wieder verstummte – Gerede von der erneuten Epochenschwelle hinein in die Postmoderne lädt dazu ein, sich den Grundzügen des Diskurses der Moderne kritisch rückzuversichern, einer Moderne allerdings eben nicht im Sinne eines historisch-ideologischen Projekts als vielmehr, weniger emphatisch, im Sinne einer neuzeitlichen Epoche, die den System­kriterien einer Kinetik des Zinses, die ihr die Vergesellschaftung über Gläubiger-Schuldner-Beziehungen liefert, zu gehorchen schlichtweg gezwungen ist.[vi]

Die gemeinsame Haltung der Junghegelianer nach dem Tode des Olympiers, dass Philosophie als solche so nicht mehr zu machen sei, ja gar aufzuhören habe, differenziert sich in vorwiegend drei Richtungen aus. Sie habe umzuschlagen in „Nicht-Philosophie“, „Tat“ oder „Praxis anleitende Wissenschaft“. Daraus ergeben sich konträre Konsequenzen, wie sie in weiteren Etappen der gegenseitigen Kritik und Absonderung von und gegeneinander gezogen werden und endlich eine Emanzipation der je eigenen Position und Forschungsstrategie bedeuten.

Eine kritische Dekonstruktion der nach-Hegelschen Denkbewegung hat sich dieses Spannungsbogens anzunehmen. Er führt mit dem Erbe Hegels, von dem dieser Essay seinen zwingenden Ausgang nimmt, über vor allem die Religionskritik Ludwig Feuerbachs und den diversen Stufen der Radikalisierung bei Bruno Bauer und Moses Heß zu den Begründern des „wissenschaftlichen Sozialismus“ Marx und Engels auf der einen sowie ihrem Gegenspieler Max Stirner, auf der anderen Seite.

Die Schnittstelle zwischen den als antipodisch zu begreifenden Hal­tungen beider Fraktionen um etwa 1844 leitet zwei denkbare Rich­tungen ein, die das Denken nach Hegel bis heute bestimmen. Der De­konstruktion der Logik dieser Entwicklung gilt der argumentative Hauptteil dieses Essays, der in eine spekulative Schlussbetrachtung mündet, in der das heutige – für Noch-Zeitgenossen im Banne der 68er – möglicherweise überraschende Fazit gezogen wird, dass sich das nach-metaphysische Denken Max Stirners heute als anschlussfähiger erweist als es vor dem Modern des Projekts der Moderne gedacht wer­den konnte.

Hegels Vermächtnis: Theologie – Philosophie – Vernunft

 Hegels Programm der Versöhnung – wenn man seine Weltgeist-Phi­losophie mit ihrem Absolutheitsanspruch so überschreiben möchte – umfasst sowohl die Geschichte als Selbstentfaltung des Geistes, der sich im Staat objektiviert als auch das Phänomen der Religion: seine Denkbewegung war neben der Versöhnung der Geschichte mit der Idee der Sittlichkeit des Staates, in der sie aufzugehen habe, auch die Auf­hebung der Theologie in Philosophie, die Aufhebung der positiven christlichen Religion in seine Philosophie, die, wie bereits eingeführt, er auch begriff als „Gottesdienst“ bzw. „-erkenntnis“. Neben dem Verständnis der Philosophie Hegels als Staatsphilosophie es hier zentral, sich ihren religionsphilosophischen Kern zu vergegenwärtigen, da es dieser Frage zu allererst hängt, wie sich seine Schüler zu ihm verhalten.  Was Hegel letztlich leistete, war – trotz  Bruno Bauers „Ultimatum“[vii], das des Meisters insgeheimen Atheismus zu vindizieren sich bemühte – eine philosophische Rechtfertigung der Religion durch die Kritik ihrer religiösen Vorstellungsformen, was einer Aufhebung – ich folge hier, wie unschwer zu erkennen ist, den Schriften Karl Lö­withs – der Theologie in Philosophie gleichkommt. In einem Brief an seinen Studienfreund Schelling schreibt Hegel, „das Reich Gottes komme, und unsre Hände seien nicht müßig im Schoße! (…) Vernunft und Freiheit bleiben unsre Losung, und unser Vereinigungspunkt die unsichtbare Kirche“.[viii]Dabei spielt eine grundlegende Rolle, von welchem Reich Gottes der junge Hegel da spricht. Peter Cornehl hat dazu in seiner Studie Die Zukunft der Versöhnung [ix] überzeugend dargelegt, dass für den frühen Hegel – zu dieser Zeit noch in der Nachfolge Kants – die Herrschaft von Moralität und Sittlichkeit gegenüber der Legalität und Positivität des bürgerlichen Verstandes-Staates ein solches „Reich“ stand[x], in dem, wie Löwith unterstreicht, „das Wesen des Menschen wahrhaft zu Hause oder bei sich ist, indem es im Absoluten ist.“[xi]Entscheidend an der zitierten Passage des Briefes ist, daß Hegel gegen die zeitgenössischen Theologen polemisiert, weil er sich als den – in obi­gem Sinne – besseren Gotteskundigen weiß und als vernünftiger, freier Denker nichts anderes will als das, was in der Sprache des Neuen Testaments „Reich Gottes“ heißt, denkend vorzubereiten, ein Reich, in dem der Mensch bei sich sein kann und sein wahres Wesen erkennt, den Geist, ein „Geisterreich“ der Philosophie und des unmittelbaren Wissens:

Der Mensch weiß nur von Gott, insofern Gott im Menschen von sich selbst weiß; dies Wissen ist Selbstbewusstsein Gottes, aber ebenso ein Wissen desselben vom Menschen, und dies Wissen Got­tes vom Menschen ist Wissen des Menschen von Gott. Der Geist des Menschen, von Gott zu wissen, ist nur der Geist Gottes selbst.[xii]

Die Transformation der Philosophie in die Geistes-Wissenschaft, die Hegel denkend vollzieht, bleibt an Gott im Sinne des Absoluten gebun­den, sowohl was den Begriff als auch sein Sein betrifft: „Onto-Theo­-Logik“[xiii], so Löwiths einleuchtende Bezeichnung. Säkularisiert bleibt etwas weniger emphatisch der Begriff der Vernunft als materiale Sub­stanz: sie ist das Ziel, das mit seiner Konzeption des Staates erreicht werden soll. Die Stufen der Entwicklung der Weltgeschichte werden als jeweils erreichter Grad und Stand der Vernunft an jener Norm gemes­sen, die am Ende steht und schließlich er, der Denker, selber ist:

Das Denken um und im Geschichtsprogress erweist sich ihm, dem Denker, als Weltgericht: Das Weltgericht allerdings nicht der Zukunft mit Fanfaren, sondern bereits durch und im stillen Vollzug des Denkens der vernünftigen Geschichte als Geschichte der Vernunft.

Kommende Geschichte hat es dann schwer. Wo etwas Entzweites zu sich selbst gekommen ist, bedarf es keiner weiteren Entwicklung mehr. Nicht die Zukunft bringt das Heil, wie die christliche Heilslehre propa­giert hat, mit Hegel katapultiert sich erlösende Versöhnung in das Präsens und die Präsenz des hic et nunc. Diese doppelte Vollendung – einerseits die des menschlichen Seins und die des Erfassens desselben in systematischer Theorie des Geistes andererseits – beschließt eine Tradition, die sich in sich aufhebt: Philosophie geht auf in oder depotenziert sich zu Wissen­schaft und vollzieht so die Wende von der „philo-sophia zur Weisheit der sophia im Sinne wirklichen Wissens“[xiv], nachdem Theologie in Phi­losophie schon aufgegangen ist.

[i]Georg Wilhlem Friedrich HEGEL (1986a), Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III. Werke [hg. E. MOLDENHAUER und K. A . MICHEL], Band 20, Frankfurt am Main, 458.

[ii]Georg Wilhlem Friedrich  Hegel (1986b), Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte. Werke [hg. E. MOLDENHAUER und K. A . MICHEL], Bd. 12, Frankfurt am Main, 540.

[iii]Jürgen HABERMAS (1985), Der philosophische Diskurs der Moderne, Frankfurt am Main, 6.

[iv]David KOIGEN (1901), Zur Vorgeschichte des modernen philosophischen Socialimsus. Zu Geschichte der Philosophie und Socialphilosophie des Junghegelianismus, Bern, VII.

[v]Friedrich NIETZSCHE (1887), Die fröhliche Wissenschaft in: ders. (1973), Werke, Band V.2 [hg. G. GOLL und M. MONTINARI], Berlin, 255.

[vi]Vgl. die paradigmatisch herausgearbeitete Dynamik, welche die Neuzeit zu perennierender Modernität zwingt und die dem vertraglichen Zinsverhältnis in der Gläubiger-Schuldner-Vergesellschaftung systemisch geschuldet ist, bei Gunnar HEINSOHN/Otto STEIGER (1990), Privateigentum und Zins, Bevölkerung und Hexen, Religion und Judenhass. Berliner Symposion. Diskussionsbeiträge zur gesamtwirtschaftlichen Theorie und Praxis, Neue Folge, Band 7, Universität Bremen.

[vii]Bruno BAUER (1841), Die Posaune des Jüngsten Gerichts über Hegel den Atheisten und Antichristen. Ein Ultimatum, in: Die Hegelsche Linke (1985) [hg. Heinz und Ingrid PEPPERLE], Leipzig, 235-371.

[viii]Friedrich Wilhelm Joseph SCHELLING, zit. in Karl LÖWITH (1965), „Hegel und die Aufhebung der christlichen Religion“ in: ders. (1988), Sämtliche Werke, Band 5, Stuttgart, 119.

[ix]Peter CORNEHL (1971), Die Zukunft der Versöhnung. Eschatologie und Emanzipation in der Aufklärung bei Hegel und in der Hegelschen Schule, Göttingen.

[x]Hegels frühe theologiekritische Versuche der Tübinger und Berner Zeit zielten nachgerade auf diese frühe Differenz im Frühchristentum ab. Diesbezüglich versuchte er nachzuweisen, dass das frühe Christentum an der Präponderanz der jüdischen Eschatologie gescheitert ist, da es nicht erreicht hat, moralische Sittlichkeit in Reinheit ohne Dogmatik in die Welt zu bringen. Der Verkünder reiner Tugendlehre Jesus wurde der verkündete Jesus; Personenkult und Dogmatik waren notwendige Folge, aus der Reinheit der Tugendlehre wurde, so durch die jüdische Heilserwartung provoziert, die „Positivität“ der Staatsreligion und die Institution der Kirche; Vgl. CORNEHL (1971), 99-106.

[xi]Karl LÖWITH (1964), „Hegels Einleitung in die  ‚Phänomenologie des Geistes‘“ in: ders. (1988), Sämtliche Werke, Band 5, 171.

[xii]Zit. in Karl LÖWITH (1966), „Vermittlung und Unmittelbarkeit bei Hegel, Marx und Feuerbach“, 201, Anm. 29.

[xiii]LÖWITH (1962), 117.

[xiv]LÖWITH (1964), Hegels Einleitung, 171.

 

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