Einspruch! Widerrede zum aktuellen (Ex-)Flügel-Narrativ

Nachdem sich der Staub etwas gelegt hat und eine klarere Sicht möglich ist, möchte ich eine kurze Antwort auf die Zwischenbilanz nach der Entscheidung des BuVo zur Nichtigkeit von Kalbitz´ Mitgliedschaft ziehen, die ein Berliner Parteimitglied im mentalen Umfeld des ehem. Flügels vor kurzem vorgenommen hat.

(M)eine Replik darauf ist deswegen von allgemeiner Relevanz, weil dessen Bewertung nicht nur eine Zufallsmeinung darstellt, sondern geradezu stereotyp genau das abbildet, wie und was das entsprechende „Lager“, das er mit seiner Einschätzung verteidigt sehen möchte, wirklich denkt.

Dabei lasse ich seine Ausführungen zur juristischen Bewertung rechts liegen, zumal das Thema juristisch ja noch abschließend zu klären sein wird – und begrenze mich auf seine Schlussfolgerungen. Seinen Text (in Normalschrift) kommentiere ich der Deutlichkeit halber im Folgenden abschnittweise kursiv.

Aktuelle Lage:

  • Gestern wurde von INSA die neueste Umfrage veröffentlicht, wonach die AfD in der letzten Wahlumfrage nur noch bei 9,5% liegt. Bei INSA handelt es sich um ein seriöses Umfrageinstitut, die Werte sind also ernst zu nehmen und dürften ein tatsächliches Bild der Lage abgeben. Sucht man die letzte Umfrage bei INSA auf diesem Niveau, muss man zum 07.08.2017 fast drei Jahre zurückgehen, als die AfD nur 9% hatte, dazwischen waren wir immer zweistellig. Dieser Einbruch ist auch nicht auf das Corona-Virus zurückzuführen, weil das ja schon seit über 2 Monaten das Tagesgeschehen beherrscht.
  • Betrachtet man die Details, kann man feststellen, dass die AfD vor allem an die Nichtwähler verloren hat. Die Wähler, die sich von uns abwenden, scheinen uns bisher als einzige Alternative angesehen zu haben und tun dies jetzt nicht mehr.

Dafür gibt es keinen Beleg. Tatsache ist, dass in den letzten drei Monaten CDU/CSU erheblich in allen Umfragen zugelegt haben. Alles spricht dafür, dass das zu einem großen Teil zu Lasten von Grünen und AfD gegangen ist, zum kleinen Teil zu Lasten der FDP. Die Zahl der Nichtwähler, die nur Forsa regelmäßig misst, hat sich dagegen lt. Forsa kaum geändert, ebenso wenig die Wählerschaft der Splitterparteien. Alles deutet darauf hin, dass der Aderlass der AfD durch Abwanderer zu den Unionsparteien verursacht worden ist.

Umgekehrt kann man feststellen, dass die „neue Meuthen-AfD“ vom sogenannten bürgerlichen Lager nicht angenommen wird. Der erhoffte Stimmenzuwachs in der Mitte bleibt aus. Das widerlegt eine ganze Reihe von Theorien und strategischem Kalkül, dass wir einen Zuwachs vor allem in der Mitte finden. Nebenbei bemerkt wurde mir das auch von 30 Jahren in der CDU erzählt und das Ergebnis dieser Strategie müssen wir jetzt mit Merkel ertragen.

Wähler, die die AfD als zu weit rechts abgeschrieben haben und die Partei inzwischen  –  trotz inhaltlicher Übereinstimmung mit unseren Positionen – für unwählbar halten, werden nicht wegen einer Aktion über Nacht zurückkehren. Da muss über einen längeren Zeitraum hinweg konsequent Vertrauen aufgebaut werden. Ich bin überzeugt: Das lohnt sich. Allerdings muss das Signal an Wähler der rechten Mitte klar und deutlich vernehmbar sein. Es hilft nichts, wenn mutige Entscheidungen des Bundesvorstands dann zerredet und konterkariert werden.

Die Chance, die die Entscheidung zu Kalbitz für eine Abgrenzung vom rechten Rand bedeuten würde, kann kaum genutzt werden oder Früchte tragen, weil ein Teil der Partei nicht daran interessiert ist, sich zur Mitte stärker zu öffnen, sondern es sich weit rechts behaglich eingerichtet hat. Oder deutlicher: Das Gerede, man hätte ja jetzt den Flügel aufgelöst und Kalbitz rausgeschmissen, und trotzdem gingen die Umfragewerte nicht in neue Höhen, zieht gerade deswegen nicht, weil weite Parteikreise beide Schritte bewußt und nachhaltig konterkarieren und eben kein klares Signal, das die Partei bräuchte, nach draußen geht.

Strategische Situation:

  • Die Stärke der AfD war bisher immer, dass wir inhaltlich breit aufgestellt waren und sowohl liberale Wähler ansprechen konnten als auch Konservative und Patrioten.

Da ist mehr der Wunsch Vater des Gedankens. Richtig ist, dass die Gründerzeit-AfD mit Lucke an der Spitze klassische liberale Wähler an sich gebunden hat und binden konnte. Klarer Tatsachenbeweis ist der Verlust aller Bundestagsmandate der FDP im Scheitern der Bundestagswahl 2013. Damals hat die AfD Teile des liberalen Lagers abgeräumt.

Damit war es ab 2015 tendenziell vorbei.

Bei der Bundestagswahl 2017 schaffte die FDP erneut den Wiedereinzug, was gleichbedeutend ist mit dem Scheitern der AfD bei dem Versuch, diese klassisch liberale Klientel dauerhaft an sich gebunden zu haben und an sich binden zu können. Sicherlich hat da die Springerpresse bei ihrem Hype um den neuen Vorsitzenden Christian Lindner und seiner auf ihn persönlich zugeschnittenen Kampagne beigetragen. Letztlich ist aber zu konstatieren, dass die AfD die 2013 geholten Wähler größtenteils wieder verloren hat.

Eine erfolgreiche AfD muss breit aufgestellt sein. Natürlich gibt es rechts der Mitte Menschen mit unterschiedlichen Auffassungen in der einen oder anderen Frage. Sie können und müssen alle Platz in der AfD finden, keine Frage. Aber die Linie zum rechten Rand darf nicht überschritten werden. Und da geht es eben mit dem permanenten Beschwören einer fundamentalen unüberbrückbaren Gegnerschaft zum “Systems” und der Überschreibung derjenigen, die für die AfD konstruktiv in den Gremien und den Parlamenten arbeiten als “Systemlinge”, die es offenbar innerparteilich zu bekämpen gilt, schon los.

  • Wen wir noch nie erreichen konnten waren unkritische Leser der Tagespresse und mediengläubige Zuschauer des Fernsehens. Daran hat sich nichts geändert, warum auch. Um diese Wähler zu erreichen, müssten deren Leitmedien objektiv und fair über uns berichten. Um dorthin zu gelangen, müssten wir aber noch weit mehr „Opfer bringen“ als Andreas Kalbitz. Aus Sicht der meisten Journalisten wären vermutlich nicht einmal Meuthen und von Storch tragbar. Jede Anbiederungspolitik kann nur in die Bedeutungslosigkeit führen.

„Wen wir noch nie erreichen konnten waren unkritische Leser der Tagespresse und mediengläubige Zuschauer des Fernsehens.“ Genau das ist der Befund, um den es der AfD gehen muss und dem es insbesondere mir auch immer ging und geht. Dieser Satz entspricht der Tatsache, dass die Ablehnungsfront gegenüber der AfD beim Wähler aktuell bei rund 75% aller Wähler liegt. Dass war mal bei 66%. 

Statt sich mit diesem Befund positiv zu beschäftigen und zu fragen, woran es liegt und was WIR als AfD selbst tun können, um das zu ändern, verharrt er in der zwar richtigen abwehrenden Feststellung, dass das Machtkartell inklusive seiner Medien uns prinzipiell weg haben will und führt dann das stereotype Gerede von der „Anbiederung“ an.

Es gibt vermutlich kaum einen Wähler rechts der Mitte, der die Tagespresse und die Öffentlich-Rechtlich unkritisch sieht und nachbetet. Ich bin überzeugt: Es ist nicht naive Mediengläubigkeit, die bürgerliche Wähler aus dem liberal- konservativen Spektrum von der AfD fernhält, sondern die mangelnde Attraktivität und der medial erzeugte Igitt-Faktor unserer AfD. Wenn eine Partei den Eindruck vermittelt oder es zuläßt, dass dieser Igitt-Faktor medial regelmäßig erzeugt werden kann, dass sie sich gegenüber dem rechten Rand – durch immer wieder skandalisierbare Sprüche Einzelner –  nicht klar abgrenzt, wird sie für Wähler untragbar, deren wirtschaftliche Existenz und gesellschaftliches Ansehen von ihrem seriösen Ruf abhängt. 

  • Teile des BuVo haben in der AfD einen zersetzenden Machtkampf losgetreten und zwar zu einer Zeit, in der unser Land auf die größte Krise seit Ende des 2. Weltkriegs zurollt. Gerade jetzt würde es einer starken Opposition bedürfen, die ein Verschenken des verblieben Volksvermögens an die südlichen EU-Länder verhindert.

Wann haben diejenigen in der AfD, die sich jetzt über den Bundesvorstand beschweren, je einen Kampf für das „Volksvermögen“ öffentlich geführt? Wann hat es jemals – sieht man von Björn Höckes für das Bürgertum unerfreulichen Rentenvorschlägen ab –  seitens des „Flügels“ einen Beitrag zu einer inhaltlichen, sachlichen Debatte zu Währungs- und Finanzfragen gegeben? Was man von „Flügel“-Treffen jahrelang hörte, war in erster Linie allgemeine Kritik am „System“ und in zweiter Linie Polemik gegenüber Andersdenkenden in der AfD. Ja, Deutschland braucht dringend eine starke Opposition und eine starke AfD, aber allgemeine Phrasen und Vorwürfe gegen die Altparteien bringen nicht mehr Schutz für unsere Ersparnisse und Sozialsysteme, sondern vertiefen Tunnelblick und Bunkermentalität, was beides zu einer weiteren Radikalisierung führen kann. 

Konsequenzen:

  • Die AfD bedarf keiner Richtungsentscheidung. Wir sind nur stark, wenn wir konservativ-liberale und konservativ-patriotische Kräfte ansprechen und an die Partei binden. Dazu brauchen wir Protagnisten aus „beiden Lagern“, die für die jeweiligen Wähler Identifikationsfiguren darstellen. Keines der Lager darf auch nur anstreben, die Partei dominieren zu wollen.

Da ist vieles richtig. Wir brauchen eine AfD mit einem breiten Meinungsspektrum. Aber wir brauchen weder zwei „Lager“ noch fließende Grenzen zum rechten Rand. Die AfD ist keine Konföderation aus zwei Teilrepubliken, die jeweils ihre eigenen Anschauungen pflegen und ihre Seilschaften fördern. Vor allem aber muss darauf geachtet werden, dass ein Teil der eigenen Partei es dem anderen nicht unmöglich macht, in der AfD mitzuarbeiten. Wenn Äußerungen aus dem „Flügel“ am Markt orientierte Mittelständler davon abhalten, ihre Sympathien für die AfD offen zu zeigen oder wenn Beamte, die in der AfD mitwirken, mit dienstrechtlichen Schwierigkeiten rechnen müssen, weil andere in der AfD keinen Abstand zum rechten Rand halten wollen, dann nutzt das Gerede von „zwei Lagern“, die friedlich koexistieren sollen, gar nichts. Die einen lassen sich gehen, die anderen zahlen den Preis.

  • Bei der vorliegenden Auseinandersetzung geht es nicht darum, die Richtung der Partei vorzugeben. Dies muss durch die Bundesparteitage nach Vorbereitung durch die Bundesprogrammkommission erfolgen. Es handelt sich um den Versuch Einzelner, ihre persönliche Macht zu festigen, unbequeme Mitbewerber auszuschalten und zwar ohne Rücksicht auf Verluste in Form von Wählerstimmen und Wählervertrauen.

Die Abwendung von knapp ¾ der Wähler von der AfD hat nichts mit irgendwelchen Machtambitionen einzelner zu tun, sondern ist ein Fakt. Keine im Parlament vertretene Partei zieht auch nur annähernd soviel Abneigung auf sich wie die AfD. Deshalb bleiben unsere Wahlergebnisse begrenzt. Deshalb bleiben unsere Machtoptionen minimal.

Deshalb werden wir bedrängt. Damit müssen wir uns befassen. Davon völlig unbenommen ist die Programmarbeit. Ich kann nicht erkennen, wo die Mehrheit der Bundesvorstandsmitglieder irgendetwas getan oder entschieden hat, das im Widerspruch zur Programmatik oder zur Satzung der AfD geschieht. Im Gegenteil, unser Programm bietet wesentlich mehr Raum für Wähler der rechten Mitte als uns bislang wählen. Wir bleiben unter unseren Möglichkeiten, weil unser gutes Programm durch das Auftreten bestimmter Teile der Partei konterkariert wird.

  • Wir müssen differenzieren zwischen integrativen Sachpolitikern und spalterischen Machtpolitikern. Letztere dürfen in der AfD keinen Platz haben.

Nochmals: Seit wann sind der Flügel und seine Repräsentanten durch „Sachpolitik“ aufgefallen? Und wann waren sie je „integrativ“? Gerade sie haben durch den Versuch, eine Partei in der Partei zu gründen, deutlich gemacht, dass ihnen Machtpolitik wichtiger als Sachpolitik ist. Und gerade sie haben Listen eingeführt, wonach bestimmte, dem früheren „Flügel“ gegenüber kritische Leute nicht in irgendwelche Gremien kommen sollen. Und schon wieder wird denen, die anderer Meinung sind als die Anhänger des ehemaligen „Flügels“ damit gedroht, dass es für sie keinen Platz in der AfD gibt.  

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