In Richtung 4. September, dem Jahrestag, an dem AM in einem Akt der Selbstermächtigung die deutschen Türen der ganzen Welt öffnete, war zu überlegen, was sich im Grunde tatsächlich abspielt. Wir befinden uns in einem epochalen Umbruch:
“Der Zeitpunkt, nein, es war nicht der für die Deutschen bedeutungsschwangere 9. November 2015, sondern der Tag danach, fällt zusammen mit einer neuen Zeitenwende, die sich im Tod des Kanzlers Helmut Schmidt ereignet und mit seinem Ende ein anderes Ende markiert: Das Ende der „Zweiten Republik“, die eigentlich schon die „Dritte“ wäre, schlösse man die von Weimar schon mit ein.
Gemeint ist die zweite, so bislang noch nicht erfasste, bundesdeutsche Republik, die mit der gesamtdeutschen Wende 1990 begann und im Feuilleton auch als – nach dem Umzug von Bonn nach Berlin – „Berliner Republik“ durchgeht. Diese Republik baut auf der ersten, der „Bonner Republik“ auf, ist aber nicht mehr mit ihr identisch. Ihre Institutionen heißen gleich, sind umgezogen und haben sich doch verändert, sind nicht mehr dieselben.
Die Gewissheiten, die unterschiedlich in beiden deutschen Staaten bis zum Ende der 80er Jahre nachkriegsbedingt gleichermaßen galten, vermengten sich und wurden schwächer. Auch das Umfeld änderte sich rasch: Aus der eher gemütlichen Europäischen Gemeinschaft mit Reisen nach Italien mit der Lira und nach Spanien mit der Pesete, wurde die sich stetig erweiternde Europäische Union mit, nach der der Eingliederung des östlichen Europas, sage und schreibe heute 28 (-1) Staaten unterschiedlicher Größen, Sprachen, Konfessionen und kulturellen Prägungen, ja und immer auch noch Währungen.
Diese Gemengelage wurde in Deutschland dennoch noch durch eine Klammer zusammengehalten. Und diese hieß: Wir sind stark, wir sind am Ende doch noch Weltmeister geworden, noch Exportwelt- oder immerhin Vizeweltmeister, mit einem Wort: Wir kommen da durch, durch die, jetzt kommt das Stichwort, die Globalisierung, die jetzt auf uns trifft, ganz persönlich, tausendfach, hundertausendfach, ja, wir kommen da durch, Ja, „wir schaffen das.“
Die Zeitenwende, von der eingangs die Rede war, besteht in der Kristallisation eben dieses Satzes aus der Sommerpressekonferenz der Kanzlerin am letzten Augusttag 2015 und markiert eine neue Gewissheit, die sich Bahn bricht, aber von der noch Keiner etwas wissen will: Wir schaffen das nicht! Nicht mehr. Schmidt, Helmut, Kanzler der Spätphase der Ersten Republik und polit-intellektueller Lotse der Zweiten verkörperte noch, was man Zutrauen nennen würde, verkörperte irgendwie noch Sicherheit und Orientierung. Es galt, auch wenn nicht mehr in der Umsetzung, so doch im Über-Ich der deutschen Gesellschaft, (mit bestimmend) sein Wort.
Das ist nunmehr verstummt. Und die Gewissheiten, die wir mit ihm teilten, sind es auch. Sein spätes Reden gab schon Hinweise auf das Zerbröckeln derselben: Rettung des Euro, ja, aber nicht um jeden Preis, Immigration ja, aber wenn es die kulturell falsche ist und zu viel davon, wird das Probleme bringen. Zur tagesaktuellen Kanzlerin äußerte er sich nicht, aber jeder wusste, was er von ihr hielt.
Mit den Ablebensmomenten von Figuren wie Helmut Schmidt, Egon Bahr, Peter Scholl-Latour u.a. ist den Deutschen etwas abhandengekommen: Glaubwürdigkeit in das eigene Können, das eigene Land und, entscheidend: in die eigene Führung, und damit auch Glaubwürdigkeit in die Politik, ein hohes Gut, das bereits länger bröckelt. Die Kanzlerschaft Merkels markiert diese Glaubwürdigkeitskrise, ja hat sie heraufbeschworen: Durch (Rechts-)Brüche und Brüche gegen die Tradition:
Zerbrochen die Gewissheit und das Verspechen, dass der €uro eine harte Währung sei, indem die Maastrichter Währungsunion von einem auf den anderen Tag zur Transferunion wurde – und die Vergemeinschaftung deutschen Wohlstands in die plötzlich von oben gewollte europäische Sozialunion auf der Tagesordnung steht. Zerbrochen die Gewissheit, dass Politik der Gesellschaft planbare Rahmenbedingungen schafft, durch die ra(s)tlose Energiewende, die zu einer Klimarettungspolitik moralisch über-stilisiert wurde; Zerbrochen die Gewissheit, dass unser soziales Gesellschaftsgefüge nachhaltig trägt, durch das grenzenlose Öffnen der Tore für die ganze weite Welt der Migration: Denn sozialer Wohlfahrtsstaat und offene Grenzen sind unvereinbar.
Mit dem hier konstatierten gefühlten Ende der Zweiten Republik in der symbolischen Markierung einer Ära „Nach Schmidt, Helmut“ lässt sich beobachten, dass und wie das Parteiensystem als Kondensator repräsentativer Führung erodiert, das die erste und diese zweite Republik noch getragen hat. Für die dritte, in die wir Dank Merkels Selbstermächtigungsakt vom 4. September 2015 plan- und bewusstlos schlittern, ist es nicht mehr stabil genug. Es ist zwar noch nicht klar, was die tragenden Elemente dieser latent sich entwickelnden „Dritten Republik“ am Ende sein werden, übrigens ganz in Parallelität zu Frankreich: Jenseits des Rheins würde das Epochenphänomen wohl als Übergang von der offiziellen V. in die VI. Republik gefasst. Die Zäsur ist, im engeren politischen Raum, allerdings schon jetzt manifest und sichtbar mit dem Aufstieg der Alterative für Deutschland verbunden:
Daher der immens irrationale Affekt gegen die neue Partei, daher diese unbotmäßige Ächtung eines sozialen Phänomens, das als epochales Ereignis nicht gesehen werden will und darf, weil es an sich zu groß ist, um im engen parteipolitischen Klein-klein als solches verstanden bzw. akzeptiert zu werden….”
Hier das ganze Manifest: Auf dem Weg in die Dritte Republik