Zur Logik eines absehbaren Scheiterns der Berliner Enquete-Kommission "Gesellschaftlicher Zusammenhalt"

Frank-Christian Hansel

Das mögliche Aus der Berliner Enquete-Kommission „Gesellschaftlicher Zusammenhalt“ ist kein überraschender Zwischenfall, sondern das absehbare Ende eines von Beginn an widersprüchlich angelegten Projekts. Die aktuellen Rückzüge von Sachverständigen, die offen ausgetragenen Konflikte und die faktische Lähmung des Gremiums sind Ausdruck eines strukturellen Fehlers, der bereits bei seiner Einsetzung wirksam wurde.

Enquetekommissionen sollen eigentlich Orte überparteilicher Erkenntnis sein – parlamentarisch legitimiert, fachlich plural zusammengesetzt und darauf ausgerichtet, politische Konfliktfelder jenseits tagespolitischer Auseinandersetzungen sachlich zu durchdringen. Genau dieser Anspruch wurde bei der Berliner Kommission jedoch von Anfang an unterlaufen. Eine im Abgeordnetenhaus gewählte Fraktion, die AfD Hauptstadtfraktion, wurde a priori von der Mitarbeit ausgeschlossen. Weder ihre Abgeordneten noch ihre benannten Sachverständigen wurden von den drei Linksfraktionen und der CDU aus dem Gremium ausgeschlossen– nicht aufgrund mangelnder Qualifikation, sondern allein aus politischer Vorab-Disqualifikation. Damit litt die Kommission von Beginn an unter einem gravierenden Demokratiedefizit.

Dieser undemokratische Ausschluss war nicht nur ein formaler Mangel, sondern ein inhaltlicher Konstruktionsfehler. Ein Gremium, das gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern soll, dabei aber selbst politische Ausgrenzung institutionalisiert, setzt sich in einen offenen Widerspruch zu seinem eigenen Anspruch. Der Diskursraum wird von vornherein normativ verengt, politische Vielfalt nicht als Voraussetzung demokratischer Verständigung begriffen, sondern als Störfaktor behandelt. Wo bestimmte Positionen nicht mehr argumentativ widerlegt, sondern strukturell ausgeschlossen werden, ersetzt moralische Bewertung die sachliche Auseinandersetzung.

Die jüngsten Eskalationen innerhalb der Kommission folgen genau dieser Logik. Die Kontroverse um die Wortwahl eines CDU-Abgeordneten führte nicht zu einer offenen Debatte, sondern zu Rücktrittserwartungen, Sitzungsverlassen und schließlich zum Rückzug von Sachverständigen. Dass inzwischen selbst externe Experten aus Sorge um politische oder finanzielle Konsequenzen Anhörungen meiden, ist ein besonders alarmierendes Signal. Ein solches Klima steht für das Gegenteil dessen, was eine Enquetekommission leisten soll: Es fördert Anpassung statt Erkenntnis und Gesinnung statt Argument.

Dass nun offen über eine faktische Abwicklung der Kommission nachgedacht wird – durch bloßes Festhalten bereits gesammelter Erkenntnisse bei Einstellung des inhaltlichen Austauschs – ist daher nur konsequent. Das Gremium ist nicht an einzelnen Personen gescheitert, sondern an seinem eigenen normativen Selbstwiderspruch. Der Anspruch auf gesellschaftlichen Zusammenhalt lässt sich nicht durch selektive Beteiligung einlösen.

Das mögliche Scheitern der Enquete-Kommission ist damit weniger ein politisches Drama als ein Lehrstück. Es zeigt, dass demokratischer Zusammenhalt nicht verordnet werden kann und schon gar nicht durch Gremien entsteht, die selbst demokratische Repräsentanz beschneiden. Ohne offene, auch konflikthafte Debatte bleibt „Zusammenhalt“ ein totes politisches Schlagwort – nicht aber eine tragfähige lebendige politische Praxis.