Die AfD vor Köln

Für den 8. und 9. März ist eine Verhandlung am Verwaltungsgericht in Köln angesetzt, die in- und außerhalb der AfD mit Spannung erwartet wird. Deshalb wird die Sitzung in einer Messehalle stattfinden, wie sie sonst für Bundesparteitage benötigt wird. Das Gericht wird darüber urteilen, ob das Bundesamt für Verfassungsschutz mit Sitz in Köln die Partei „Alternative für Deutschland“ als „Verdachtsfall“ für verfassungsfeindliche Einstellungen einstufen dürfe.

Die Kontroverse dürfte es eigentlich gar nicht geben, weil, so das Bundesamt für Verfassungsschutz in der Schrift „Schutz der Verfassung ist Schutz für alle Bürger“, Köln (ohne Jahresangabe) deutlich ausführt: „Kritische Bürger und „radikale“ Ansichten sind jedoch kein Anlass für den Verfassungsschutz tätig zu werden. In der Bundesrepublik ist Kritik nicht verpönt, sondern erwünscht. Selbst radikale Meinungen sind legitim.“

Auch der ehemalige Präsident der Behörde, Eckart Werthebach, erklärte 1992, das Grundgesetz garantiere „auch Freiheit für den politisch Andersdenkenden bis hin zu radikalen Positionen“ (Eckart Werthebach, Vorwort, in: Bundesamt für Verfassungsschutz, Aufgaben – Befugnisse – Grenzen, Köln, 1992, S.3).

Die Zeiten haben sich wohl geändert, seit die Politik der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel dazu geführt hat, dass durch die von ihr betriebene Linksverschiebung der Regierungspartei CDU sich eine Repräsentationslücke des bürgerlichen Mitte-rechts-Spektrums aufgetan hat, die mit der 2013 gegründeten Alternative für Deutschland als Antwort darauf bislang überraschend erfolgreich geschlossen werden konnte.

Da das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Landesämter für Verfassungsschutz keine unabhängigen Institutionen sind, sondern Behörden, die dem Bundesinnenminister bzw. in der Regel den Innenministern der Länder formal und inhaltlich – beamtenrechtlich – weisungsgebunden unterstellt sind, liegt es nahe, dass der politische Wille des Dienstherrn nicht ohne Folgen auf die Arbeit der jeweiligen Behörde ist.

Prof. Martin Wagener hat in seinem Buch „Kulturkampf um das Volk – Der Verfassungsschutz und die nationale Identität der Deutschen“, unter anderem entwickelt, dass und wie mit Hilfe des Bundesamts für Verfassungsschutz die „AfD in die [rechtsextreme] politische Ecke gerückt werden [soll], um sie mittelfristig aus dem bayerischen Landtag herauszubekommen“ (Reinbek, 2021, S. 202), bzw. als erfolgreicher politischer Konkurrent insgesamt aus dem parlamentarischen Raum.

Über die Aufgabe des Verfassungsschutzes als einer der politischen Führung unterstellten Behörde, als Instrument im „Kampf gegen rechts“ zu dienen und damit die AfD zu einem „Beobachtungsfall“ zu machen, sodass sie weiter in der Wählerschaft diskreditiert ist, dürfte kaum Zweifel bestehen; dies hat auch der vormalige Chef des Bundesamtes, Hans-Georg Maaßen, bestätigt.

Ernsthafte Zweifel bestehen allerdings, dass die Gerichte, also die unabhängige Justiz, diesem Willen folgen. Bislang gibt es dafür keine Anhaltspunkte. Im Gegenteil. Bisher hat, was das besagte Verfahren betrifft, das zuständige Verwaltungsgericht in Köln dem Bundesamt für Verfassungsschutz formal eher Abfuhren erteilt.

In dieser Situation war und ist der Rück- und Austritt eines der beiden Parteisprecher der AfD ein Moment, das in der inhaltlichen Bewertung des Verfahrensgegenstands AfD dem Verfassungsschutz scheinbar entgegenkommt.

Ein entsprechendes Unterstützungsnarrativ wird sofort mitgeliefert vom

  1. SPIEGEL (6/22)

„Mit dem Abgang Meuthens haben die Radikalen die Oberhand.“ „Zudem haben Meuthens frühere Verbündete keinen Plan, wie es jetzt weitergehen soll… Durch diesen Überfall war für sein kleines Lager die letzte Chance vertan, mit Meuthens Rücktritt einen Nachfolger zu präsentieren…“

und

  1. WELT 28.1.22 (Meuthens Niederlage, Höckes Sieg)

„Mit Jörg Meuthens Austritt aus der AfD fällt die Partei in die Hände des formal aufgelösten rechtsextremen Flügels. Dieser kann nun sein sozial-nationales Programm verfolgen, ohne dass nationalistische Marktradikale groß stören.“  „Den „gemäßigten“ Teil der AfD gibt es schon lange nicht mehr.“

Unterm Strich soll es heißen: Meuthen war das Gesicht der „Bürgerlichen“, jetzt ist er weg, also kippt die AfD endgültig weg.

Ich erhebe Einspruch, Euer Ehren!

Denn Meuthen war nicht der Kern oder eigentlicher Treiber dessen, was ich mal als „Team Vernunft“ überschreiben will, das sich seit 2018 sukzessive bundesweit vernetzt und strukturiert hat, sondern mithin eher Getriebener. Erster großer Aufschlag dieses gewachsenen informellen bundesweiten Netzwerks aus der 1. und 2. Reihe der AfD war der „Appell der 100“ https://www.sueddeutsche.de/politik/afd-100-funktionaere-stellen-sich-gegen-hoecke-1.4519543 vom 10. Juli 2019, den tatsächlich innerhalb von 2 Tagen Vorlauf mehr als 300 Mitglieder mitunterschrieben haben, darunter aber eben kein Jörg Meuthen.

Auch erfolgte die Nichtmehr-Teilnahme am Kyffhäuser-Treffen von Jörg Meuthen 2019 auf Druck dieser Vernetzung, in dem mehrere Landesvorsitzende und Landesvorstandsmitglieder und Mandatsträger in den diversen AfD-Landtagsfraktionen einschließlich Bundestagsfraktion verbunden sind, um die AfD auf vernünftigen Kurs zu halten, und einem vermeintlichen Abdriften aktiv entgegenzuarbeiten.

Bereits unmittelbar nach der Ankündigung des Rückzugs von Jörg Meuthen als Sprecher im Oktober 2021 war hier Konsens:

„Die Antwort auf Meuthens Rückzug kann jetzt nur in der Bestärkung der AfD als einzigen politischen Kraft liegen, die die Substanz hat, bürgerliche Politik für ein zukunftsfestes Deutschland gegen das rot-grüne Zersetzungsprojekt zu setzen. Auch die jetzige Stärke der AfD ist noch das Bedürfnis nach ihr. Diese latente Stärke materialisiert sich aber nur dann, wenn alle derzeit Enttäuschten in der Partei bleiben und den Einsatz für ihren Erfolg nach innen und außen nochmals erhöhen. Ohne die AfD geht es nicht! Die Härte der Währung in der Politik sind die Zustimmungswerte der Wähler einer Partei, nicht so sehr ihre Mitglieder und Funktionäre. Es geht, das haben die Wahlen 2021 auch bewiesen, eben nicht um die Befriedigung nur der eigenen Blase.

Wir müssen uns jetzt offensiv öffnen! Die Agenda, die sich ein neuer Bundesvorstand vornehmen und dann auch engagiert umsetzen muss, besteht im Imagewandel der Marke zur Erhöhung der Akzeptanz unseres an sich richtigen Produkts. Der Kern der Marke AfD gilt als angekratzt, weil die Partei, so wie sie erscheint, nicht das widerspiegelt, was sie sein sollte: die zu füllende Repräsentationslücke Mitte-rechts mit dem Mut zur Wahrheit.“ (https://frank-hansel.de/nach-meuthen-fuer-eine-afd-agenda-2021-2023-eine-lagebeurteilung-nach-innen-und-aussen).

Ergebnisse des stetig gewachsenen Erfolges und Einflusses dieses sich regelmäßig abstimmenden  Teamspiels im Hintergrund waren bzw. sind:

Die Verwaltungsrichter in Köln mögen zur Kenntnis nehmen, was der Verfassungsschutz nicht sehen wollen kann, dass sich an der innerparteilichen Gemengelage mit dem Weggang von Jörg Meuthen im Kern der AfD nichts verändert hat, wenn sich das auch medial nach draußen noch etwas anders darstellt.

Das in der Partei bundesweit aktive und breit getragene Netzwerk „Team Vernunft“ sorgt intern weiterhin bisher ohne großen öffentlichen Aufhebens dafür, dass die AfD ihren Weg der Konsolidierung in Richtung Politikfähigkeit mit Ecken und Kanten zur Stärkung unseres demokratischen Gemeinwesens weitergeht. Das Angebot der Alternative für Deutschland an die Wähler, auch von den anderen Parteien abweichende Meinungen in den Parlamenten vertreten zu sehen, ist und bleibt allein schon demokratietheoretisch wichtig. Das sollten diejenigen, die am 8. und 9. März diesbezüglich einschlägige Entscheidungen, bei denen es auch um das Vertrauen in unseren Rechtsstaat geht, zu treffen haben, mit berücksichtigen.

Nachsatz: An dieser Lage hat sich auch nach der Kölner Entscheidung in der politischen Bewertung nichts geändert.

 

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