Eigentum, Disziplin, Hightech – Chinas Triumph und Europas Entscheidung

Europas verlorenes Format

Europa war nach der Renaissance und verstärkt durch die Aufklärung Avantgarde der Welt. Eigentumstitel und die Logik des Begriffspaars Kredit und Investition bildeten jene revolutionäre Dynamik, die den Kontinent von Florenz über Amsterdam bis Manchester zur Wiege der Moderne machte. Gunnar Heinsohn hat sie präzise gefasst: „Eigentum schafft Kredit, Kredit ermöglicht Investition, Investition treibt Innovation.“

Doch heute ist Europa erschlafft. Eigentum wird durch Regulierung, Enteignungsdebatten und Schuldenpolitik ausgehöhlt. Kreditmärkte nähren “Brot-iund-Spiele”-Konsum, nicht produktive Innovation. Universitäten senken Standards, Disziplin wird durch passiven Komfort ersetzt.

Peter Sloterdijk hat dieses Phänomen als „Übungsdefizit“ beschrieben, als Abkehr von der “Vertikalspannung”: Eine Gesellschaft, die nicht mehr trainiert, nicht mehr nach oben und vorne sein will, verliert ihre Fähigkeit zur Anstrengung. Europa ist zur Zivilisation der Ausreden geworden.

China: Vom Schatten zur Avantgarde

China hat in vier Jahrzehnten vollzogen, wofür Europa Jahrhunderte brauchte: die Befreiung der Eigentumsdynamik. Deng Xiaoping wagte ab 1978 die Rückkehr zu Kredit, Eigentum und unternehmerischer Freiheit. Was als Experiment in Sonderwirtschaftszonen begann, wurde zur Grundlage eines globalen Aufstiegs, wie ihn die Weltgeschichte bisher so noch nicht gesehen hat. Heute ist China nicht mehr Werkbank, sondern Avantgarde:

  • Bildung: 2001 studierten 10 % der Jugendlichen, heute 70 %. Rund 50 Millionen Studenten – 15-mal mehr als in Deutschland.

  • Megastädte: Mehr als 100 Städte mit über einer Million Einwohnern, darunter Giganten wie Chongqing (32 Mio.), Shanghai (25 Mio.) oder Peking (22 Mio.). Jährlich wächst die urbane Bevölkerung um Millionen.

  • Hochhäuser: Von den 100 höchsten Gebäuden der Welt stehen über 50 in China. Der Shanghai Tower ragt 632 Meter in den Himmel. Ganze Skylines entstehen in einer Dekade.

  • Infrastruktur: Die längste Brücke der Welt (Danyang–Kunshan, 165 km), die höchste Brücke (Huajiang Canyon, 625 m).

  • Bahnwesen: Über 42.000 km Hochgeschwindigkeitsnetz seit 2008, Züge mit 350 km/h, Bahnhöfe als Kathedralen der Moderne.

  • Technologie: Exoskelette im Handel, BYD bricht mit 496 km/h alle E-Auto-Rekorde, Hyperschallraketen, KI-Anwendungen, eine eigene Raumstation.

China baut nicht, um Lücken zu schließen – es baut, um Maßstäbe zu setzen.

Geopolitik: Vom Großraum zur Weltordnung

Während Europa sich mit sich selbst beschäftigt und debattiert, definiert China die Welt neu. Es knüpft ein Netz von Partnerschaften – mit Russland, Iran, Indien und den Staaten des Globalen Südens. Es beansprucht eine Führungsrolle in einer multipolaren Weltordnung, die die Pax Americana ablöst.

Hier hilft Carl Schmitts Begriff der Großraumordnung zum Verständnis: Weltpolitik ist kein egalitäres Konzert der Staaten, sondern die Entscheidung über Räume, Ordnungen und Machtzentren. Wer den Großraum definiert, setzt die Regeln. China handelt in diesem Sinne: Es formt seinen asiatischen Großraum, öffnet ihn in die Welt und fordert den Westen heraus.

Schmitts Freund–Feind-Kriterium zeigt sich ebenfalls: Für Peking ist die Ordnung nicht neutral, sondern Ausdruck eines Machtkampfs. Kooperationen sind strategisch, nicht altruistisch. Die multipolare Welt bedeutet nicht Frieden, sondern eine neue Konfrontation der Räume – und Europa steht unentschieden zwischen den Fronten.

Europas Pessimum: Vom Subjekt zum Objekt

Das Brüsseler Institut Bruegel hat drei Szenarien für 2035 skizziert: Blockkonfrontation, Blockbildung mit europäischer Entscheidung, multilaterale Ordnung. Für Europa ist keines davon ungefährlich. Am wahrscheinlichsten ist, dass Europa zum Objekt der Entscheidung anderer Mächte wird. Eigentum geschwächt, Disziplin verloren, politische Führung unfähig zur klaren Entscheidung – das bedeutet Abstieg.

Heinsohn: „Wir scheitern nicht am Geld, sondern am Mangel an Substanz.“
Sloterdijk: „Eine Gesellschaft, die nicht übt, wird schlaff.“
Schmitt: „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.“

Europa ist heute weder souverän noch übt bzw. nimmt es den Wettbewerb überhaupt auf, noch besitzt es ausreichend Substanz und schwächst sich mit kontraproduktiver Massenmigration. Es steht am Rand seines damaligen eigenen Projekts.

Politikneustart: Europas Möglichkeit zur Selbstbehauptung

Und doch: Geschichte bleibt offen. Europa kann sich neu aufrichten – aber nicht in Kontinuität, sondern nur durch Bruch. Diese Kehrtwende muss von unten her, den fordernden Citiyens in den jeweiligen Nationalstaaten ausgehen. Ein Neustart nach rechts ist nötig: die Abkehr von Lähmung und Ausreden, die Rückkehr zu Eigentum, Exzellenz und Souveränität.

Das bedeutet:

  • Eigentum als unverrückbares Fundament schützen.

  • Bildung radikal auf Exzellenz ausrichten.

  • Disziplin und Leistung rehabilitieren.

  • Entscheidungskraft zurückgewinnen – im Schmittschen Sinn: das Primat der Politik neu behaupten.

  • Strategische Autonomie in Technologie, Energie, Infrastruktur entwickeln.

Nur so kann ein Europa2.0 politisch erwachter Vaterländer wieder ein relevantes Subjekt werden – ein Akteur, der seinen Raum definiert, statt im Raum anderer Mächte zu verschwinden.

Entscheidung am Abgrund

Aus dem berechtigten Pessimismus der aktuell üblen Lage erwächst auch eine Chance, frei nach Hölderlins Ausrufezeichen: “Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch!”: Wenn die Europäer den Ernst der Lage erkennen, wenn sie Eigentum, Vertikalspannung und den Willen zur Entscheidung von der Politik einfordern, dann kann sich der Kontinent selbst erneuern. Die Alternative ist klar: Entweder Europa rafft sich auf und wird wieder Subjekt der Geschichte – oder es bleibt Objekt einer Ordnung, die im Reich der Mitte (!) entschieden wird.