Zur Mathematik der „Klimagerechtigkeit“: Wie Berlin Milliarden in Symbolpolitik investiert und mathematisch nie seine Klimaziele erreichen kann
Berlin gibt sich gern als Avantgarde der Klimapolitik. Mit großem moralischem Anspruch, mit pathetischer Rhetorik und mit immer neuen Milliardenversprechen präsentiert sich der Senat als Garant einer angeblich erfolgreichen Transformation. Doch die Realität sieht anders aus. Wer die offiziellen Zahlen der eigenen Verwaltung ernst nimmt, erkennt schnell: Die Berliner Klimapolitik steht nicht vor Herausforderungen – sie steht vor der eigenen Unmöglichkeit. Der klimagerechte Haushalt, der eigentlich Transparenz schaffen sollte, legt diese Unmöglichkeit offen.
Seine ungeschminkte Analyse zeigt – rein rechnerisch, unideologisch, auf Basis der offiziellen Senatsunterlagen –, dass Berlin seine eigenen Klimaziele nicht erreichen kann, weil die Wirkung der Maßnahmen in keinem Verhältnis zu den gesetzlichen Zielvorgaben steht. Es ist nicht die AfD, die das behauptet, es sind die Zahlen des Senats selbst.
Ausgangslage: Das Berliner Klimaziel und seine mathematische Konsequenz
Nach dem Berliner Energie- und Klimaschutzgesetz (EWG Bln) muss Berlin seine CO₂-Emissionen bis 2030 auf 8,8 Millionen Tonnen senken. Aktuell emittiert die Hauptstadt: rund 13,4 Millionen Tonnen CO₂ (2024): Damit ergibt sich eine erforderliche Reduktion um 4,6 Millionen Tonnen CO₂ innerhalb von sechs Jahren. Die gesetzlich vorgeschriebene Reduktionsrate beträgt also: ca. 833.000 Tonnen CO₂ pro Jahr
Das ist die Messlatte, die der Senat sich selbst gesetzt hat. Diese Zahl ist nicht politisch, sie ist mathematisch.
Der klimagerechte Haushalt 2024/2025: 403 Millionen Euro – für 1.608 Tonnen CO₂
Erstmals wurden für den Haushalt 2024/25 sowohl die Maßnahmen der Hauptverwaltung als auch der Bezirke vollständig ausgewertet.
Bei Ausgaben in einer Gesamtsumme in Höhe von 403 Millionen Euro, davon klimarelevant ein Teil der Neubau- und Sanierungsmaßnahmen, ergibt sich eine CO₂-Wirkung von ausgewiesener Einsparung von 1.608 Tonnen CO₂/Jahr. Im Verhältnis zum Zielpfad von theoretisch tatsächlich notwendig zu erbingenden 833.000 t/Jahr werden nur 1.608 t/Jahr geliefert, das entspricht: 0,19 Prozent des gesetzlichen Jahresziels. Eine politische Wirkung, die praktisch nicht messbar ist.
Vermeidungskosten
Da die 403 Mio. € über die beiden Jahre 2024 und 2025 laufen, ergeben sich bei 201,5 Mio. €/Jahr 125.280 € Kosten pro eingesparter Tonne CO₂. Die Hochrechnung auf das angestrebte vorgegebene Zielpfadniveau lautet: Um auf 833.000 t/Jahr zu kommen, müsste man den Haushalt in seiner Wirksamkeit um den Faktor 518 skalieren.
Das heißt: 104 Milliarden Euro pro Jahr wären nötig, wenn Berlin mit der gleichen Effizienz arbeiten würde wie im Haushalt 2024/25. 104 Milliarden Euro pro Jahr – das ist viermal der gesamte Berliner Landeshaushalt.
Der Haushalt 2026/2027: 2,268 Milliarden Euro – für 37.000 Tonnen CO₂
Der neue Doppelhaushalt wurde mit großem Anspruch als Fortschritt präsentiert. Er umfasst:
Ausgaben:
Klimarelevante Mittel: 1,128 Mrd. €
„Klimapakt“-Mittel: 1,140 Mrd. €
Gesamt: 2,268 Mrd. €
Pro Jahr: 1,134 Milliarden Euro
Die Senatsverwaltung weist aus, dass 37.000 Tonnen CO₂ pro Jahr, wenn alle gesetzten Maßnahmen des „klimagerechten“ Hauptverwaltungshaushalts umgesetzt werden.
Im Verhältnis zum Zielpfad bedeutet das 4,4 Prozent des Jahresziels, die notwendigen 833.000 t/Jahr Einsparung unterstellt.
Vermeidungskosten
Bei Ausgaben in Höhe von 1,134 Mrd. € pro Jahr für die Einsparung von 37.000 t , ergibt sich ein Kosteneffekt von 30.648 €/t. Die Hochrechnung lautet: 833.000 ÷ 37.000 = Faktor 22,5. Das heißt, statt 1,134 Mrd € müssten eigentlich, in der Systematik des Senats, 25,5 Milliarden Euro pro Jahr dafür ausgegeben werden. Damit wäre – selbst im „besseren“ Haushalt 26/27 – jährlich etwa ein Berliner Gesamtetat allein für Klimamaßnahmen nötig.
Der gern genutzte Abwehrreflex: „Aber die Privaten, also Industrie und Wirtschaft investieren doch auch!“
Ja, das tut sie – und zwar massiv. Studien von KfW, Agora Energiewende und der Bundesregierung gehen davon aus, dass 60 bis 80 Prozent aller Transformationsinvestitionen privatwirtschaftlich erfolgen müssen. Aber das Argument ändert nichts daran, dass dort, wo der Staat selbst handelt, folgende Effizienzen auftreten:
In Berlin sind es CO2 Vermeidungskosten in Höhe von 125.280 €/t CO₂ im Haushalt 24/25 und 30.648 €/t CO₂ im Haushalt 26/27, während internationale Benchmarks bei 50–150 €/t CO₂ liegen. Die private Hand rettet nicht die staatliche Ineffizienz – sie macht sie erst sichtbar. Denn wenn der Staat 200- bis 1.000-mal schlechter arbeitet als der Markt, kann keine private Investition den strukturellen Missstand ausgleichen.
Phänomen „Klimapakt“
Der Senat verweist auf den Klimapakt mit den Landesunternehmen und behauptet 2,3 Mio. t/Jahr CO₂-Einsparung bei der verstaatlichten BEW (Berliner Wärme AG), 0,4 Mio. t/Jahr bei weiteren Landesunternehmen und 2,9 Mio. t CO₂ bis 2035 durch die ebenfalls verstaatlichte Berliner Netzholding BEN zu erreichen. Diese Zahlen wirken gewaltig – und sind es auf den ersten Blick auch. Doch sie sind keine Berliner Klimawirkung im Sinne des Haushalts:
Sie sind Zielwerte, keine realisierten Einsparungen und beruhen weitgehend auf Bundes- und EU-Vorgaben (ETS, Kohleausstieg, Gebäudeenergiegesetz GEG). Sie wären ohnehin eingetreten, auch ohne Berliner Sondervermögen und sind nicht haushaltsrelevant, sondern werden nur kommunikativ zugerechnet. Die angeblichen 2,7 Mio. t Einsparung bis 2030 sind daher kein Berliner Klimaeffekt, sondern ein Etikett, das die Auswirkungen übergeordneter Regulierung als Berliner Leistung ausgibt. Damit bleibt der klimagerechte Haushalt das, was er ist: Ein Dokument der Wirkungslosigkeit.
Die metapolitische Dimension: Klimapolitik als säkulares Heilsversprechen
Die klimapolitische Selbstinszenierung fußt auf folgenden Elementen: Der Staat setzt unerreichbare Ziele, die Verwaltung liefert minimale Wirkung, die Politik ersetzt Wirkung durch Ritual und Moral tritt an die Stelle von Technik und Zahlen. Klimaschutz wird nicht gehandhabt wie ein Infrastrukturprojekt, sondern wie eine quasireligiöse Pflichtübung. Der klimagerechte Haushalt ist die liturgische Schrift dieser Haltung. Der klimagerechte Haushalt beweist nicht die Stärke, sondern das Scheitern der Berliner Klimapolitik. Nach exakter Berechnung der eigenen Zahlen ergibt sich:
Berlin muss jährlich 833.000 Tonnen CO₂ einsparen.
Der Klimahaushalt 24/25 von Hauptverwaltung und Bezirken lieferten 0,19 % davon.
Der Klimahaushalt 26/27 der Hauptverwaltung liefert 4,4 % davon.
Hochgerechnet bräuchte Berlin zwischen 25 bis 104 Milliarden Euro pro Jahr, um seine eigenen Ziele zu erreichen.
Der Klimapakt etikettiert bundesrechtliche Pflichten als Berliner Taten.
Damit ist der klimagerechte Haushalt nicht das Instrument der Klimarettung, sondern der amtliche Nachweis ihrer Unmöglichkeit. Um dieses Eingeständnis zu kompensieren, wird der sogenannte Klimapakt außerhalb des Kernhaushalts aus dem Boden gestampft. In eine Berliner Klima-Gesamtbilanz eingerechnet, ergibt sich folgendes Bild:
Der Senat stellt bis 2030 für den Klimapakt 2,3 Milliarden Euro an Landesmitteln zur Verfügung; die 22 landeseigenen Unternehmen sollen zusätzlich rund 13,6 bis 13,8 Milliarden Euro investieren. Insgesamt werden also berlinweit etwa 16 Milliarden Euro für Klimapakt-Maßnahmen mobilisiert.
Im Bericht zum klimagerechten Haushalten heißt es zugleich, dass damit – je nach Version der Senatsdokumente – bis 2030 zunächst 2,3 Mio. Tonnen CO₂ pro Jahr bei der Berliner Energie und Wärme GmbH BEW und 0,4 Mio. t bei weiteren Unternehmen, in einer neueren Fassung sogar über 3,2 Mio. t CO₂ pro Jahr allein bei der BEW plus 0,4 Mio. t bei weiteren Unternehmen, also bis zu 3,6 Mio. t CO₂ jährlich eingespart werden sollen; hinzu kommen kumulierte 2,9 Mio. t CO₂ bis 2035 durch Investitionen des Berlin Energie und Netzholding GmbH BEN in das Stromnetz.
Saldiert man nun alles, was Berlin bis 2030 klimapolitisch in dieses offizielle Raster packt, erhält man:
a)
Ausgaben im klimagerechten Haushalt 24/25 + 26/27 in Höhe von 2,671 Mrd. € (403 Mio. € + 2,268 Mrd. €) stehen CO2 Einsparunge in Höhe von 1.608 t + 37.000 t = 38.608 Tonnen CO₂/Jahr, entgegen, was Kosten pro eingesparter Tonne CO2 von 69.000 € ausmacht.
b) plus Klimapakt (Landesmittel):
Zusätzlichen Ausgaben in Höhe von 2,3 Mrd. € stehen nominell 2,7 – 3,6 Mio. Tonnen Einsparungen CO₂/Jahr entgegen. Damit summieren sich die Landesmittel (Haushalte + Klimapakt) auf knapp 5 Milliarden Euro bis 2030, denen – im besten Fall und nach Lesart des Senats – eine jährliche CO₂-Minderung von gut 2,7 bis 3,6 Millionen Tonnen gegenübersteht.
Das ergibt für die Gesamtheit der vom Land finanzierten Klimainstrumente immer noch einen impliziten Preis von etwa 1.400 bis 1.800 € pro eingesparter Tonne CO₂. Bezieht man zusätzlich die Unternehmensinvestitionen des Klimapakts mit ein, steigt der effektive Preis – wie gezeigt – in eine Größenordnung von rund 5.000 bis 7.000 €/t CO₂.
Zum Vergleich: Die bis 2030 insgesamt erforderliche Reduktion beträgt 4,6 Millionen Tonnen CO₂. Selbst wenn man also die optimistischen Senatsberechnungen des Klimapakts unkritisch übernimmt, decken klimagerechter Haushalt und Klimapakt zusammen – auf dem Papier – vielleicht 60 bis 80 Prozent der Lücke zu exorbitanten Kosten als Schulden ab, wobei die Einsparziele zu einem erheblichen Teil ohnehin aus Bundes- und EU-Recht resultieren würden und mit Annahmen, die nicht als realisierte, sondern als projektierte CO₂-Minderungen in den Raum gestellt werden.
Damit verschärft der Klimapakt das Grundproblem eher noch, als es zu lösen: Er erhöht die Investitionssummen bei gleichzeitiger Verschuldung und vergrößert die Erzählung – aber er ändert nichts daran, dass die Berliner Klimapolitik nur zu einem Bruchteil das leistet, was ihr eigenes Gesetz verlangt, und dies zu Preisen, die weit außerhalb jeder rationalen Klimapolitik liegen.
Das scheint aber bisher Niemanden so wirklich zu stören.