Am kommenden Samstag richtet sich der Blick nach Thüringen. Der Landesparteitag des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) könnte zum Wendepunkt für drei politische Projekte werden: für Thüringen als Modellfall politischer Neuordnungen, für die strategische Zukunft der AfD und Björn Höcke – und nicht zuletzt für Wagenknecht selbst, die zwischen Anpassung und Aufbruch laviert. Der Parteitag ist mehr als eine Personalentscheidung, er ist ein Lackmustest: Entweder das BSW wagt den Befreiungsschlag als Tabubruch – oder es wird bedeutungslos.
Denn in Thüringen verdichtet sich das politische Dilemma der Republik: Ein strukturell rechtes Wählerlager, das konstant über 50 Prozent liegt, trifft auf eine parteipolitische Architektur, die diesen Wählerwillen systematisch neutralisiert. Der politische Stillstand ist kein Betriebsunfall, sondern Ausdruck eines demokratischen Paradoxons: Die Mehrheit ist da – aber sie darf nicht regieren. Genau hier beginnt die historische Verantwortung des BSW.
Die bisherige Führung des Landesverbandes – insbesondere um Katja Wolf und Sandro Schütz – steht sinnbildlich für jene falsche Hoffnung, man könne als Neugründung Teil des rot-rot-grünen Spiels bleiben. Diese Hoffnung ist eine Illusion. Sie führt das BSW in dasselbe Schicksal wie einst die Piratenpartei: große Erwartungen, noch größere Anpassungsbereitschaft – und am Ende politische Bedeutungslosigkeit.
Wagenknecht muss sich entscheiden. Bleibt sie eine Systemkorrektorin, die das Gewohnte besser machen will – oder wird sie zur Systemüberwinderin, die neue politische Koalitionen möglich macht? Thüringen bietet ihr die letzte Gelegenheit zur Klarheit. Die Abwahl des alten Landesvorstands wäre ein Befreiungsschlag – und das Signal, dass man bereit ist, politische Realitäten anzuerkennen.
Diese Realität heißt: Ohne AfD keine Regierungsmehrheit. Eine strategische Öffnung – kein Schulterschluss, sondern eine pragmatische Tolerierungsperspektive – wäre ein Tabubruch. Aber einer, der politisch notwendig ist. Er würde die CDU in eine existenzielle Lage bringen. Denn in dem Moment, in dem das BSW die Brandmauer zur AfD infrage stellt, wäre die CDU endlich final gezwungen, sich selbst zwischen ideologischer Abgrenzung und politischem Opportunismus zu entscheiden.
Der eigentliche Zündstoff liegt nicht in einer hypothetischen Zusammenarbeit zwischen BSW und AfD. Er liegt in der Möglichkeit, dass das bisherige Parteiengefüge durch neue Konstellationen geöffnet und erweitert wird. Das BSW könnte zum Zünglein an der Waage werden – oder zur letzten Hoffnung für eine demokratische Wende von unten. Entscheidend ist, ob der Wille zur Macht stärker ist als die Angst vor dem Tabubruch.
Für Wagenknecht bedeutet das: Nur wer bereit ist, alte Bündnisse zu opfern, kann neue Realitäten schaffen. Thüringen ist kein Nebenkriegsschauplatz. Es ist das politische Labor einer möglichen Dritten Republik. Wer hier zaudert, hat die Zukunft schon verspielt.





