Replik auf den Artikel „AfD vor CDU: Fünf Faktoren für den Aufstieg der Rechten“ von Christian Unger, Berliner Morgenpost (23.04.2025) bzw. Die Unfähigkeit, die Lage erkennen zu wollen!

Der jüngste Beitrag in der Berliner Morgenpost zum Aufstieg der AfD wirkt wie ein Lehrstück der politischen Verdrängung: Statt sich mit den Ursachen des Vertrauensverlusts in das politische Establishment auseinanderzusetzen, wird ein weiteres Mal das moralische Panoptikum bemüht, in dem die AfD als bloßer Profiteur von Schwäche, Angst und populistischer Täuschung erscheint. Diese Lesart ist nicht nur oberflächlich – sie ist symptomatisch für genau jene Verdrängungshaltung, die den Aufstieg der AfD erst ermöglicht hat.

Im einzelnen:

1. „Der Merz-Faktor zieht nicht – im Gegenteil“

Unger attestiert Friedrich Merz ein Glaubwürdigkeitsproblem – insbesondere aufgrund seines Kurses in der Migrationspolitik. Was der Artikel dabei unterschlägt: Nicht Merz’ Kurswechsel ist das Problem, sondern seine Halbherzigkeit. Er verkörpert das typische Syndrom der „etablierten Selbstwiderlegung“: Man erkennt das Problem an, wagt aber nicht, es zur Konsequenz zu führen – sei es aus parteiinternem Kalkül oder aus Angst vor medialer Ächtung. Der Wähler spürt diese Inkonsistenz. Und entscheidet sich dann eben für das politische Original statt die zögerliche Kopie.

2. „Die Koalition wirkt wie eine linke Regierung“

Was hier als „Wahrnehmung“ abgehandelt wird, ist schlicht Realität: Die Ampelkoalition agiert ökonomisch interventionistisch, gesellschaftspolitisch ideologisch und außenpolitisch erzieherisch. Dass Teile der CDU sich diesem Kurs weitgehend unterwerfen, macht sie mitverantwortlich für das entstandene politische Vakuum rechts der Mitte – das die AfD füllt. Die Frage ist nicht, warum die AfD profitiert. Die Frage ist: Warum sind CDU und FDP so unfähig, dieses Feld mit glaubwürdiger, souveräner Politik selbst zu besetzen?

3. „Die AfD profitiert von der Schwäche der CDU“

Diese Behauptung ist tautologisch: Natürlich profitiert jeder Herausforderer von der Schwäche der Konkurrenz. Doch was die Morgenpost geflissentlich übersieht: Die AfD profitiert nicht allein von der „Schwäche“ der CDU, sondern vom fortgesetzten Legitimationsversagen des gesamten Parteienkartells – insbesondere bei zentralen Themen wie Migration, Energiepolitik, innerer Sicherheit und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit. Die Menschen wählen nicht „aus Protest“, sie wählen aus Enttäuschung – und aus der Hoffnung auf politische Wiederherstellung von Normalität.

4. „Die AfD inszeniert sich als Opfer“

Der Vorwurf der „Opferinszenierung“ ist ein Klassiker des Diskreditierungsrepertoires. Doch was, wenn die systematische Verächtlichmachung, die Verweigerung fairer Debattenräume und die politische wie mediale Isolation der AfD nicht „Inszenierung“, sondern Realität ist? Dass eine Partei, die in Teilen Ostdeutschlands stärkste Kraft ist, von demokratischen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen wird, ist kein Theater – es ist das Gegenteil demokratischer Repräsentation.

5. „Die AfD profitiert vom Frust über die Regierung“

Hier räumt der Artikel unfreiwillig das ein, was er sonst zu kaschieren versucht: Die AfD gewinnt, weil die Politik der Regierung scheitert. Nicht wegen „rechter Parolen“, sondern weil man sich die Realität nicht länger schönreden kann: eine dysfunktionale Asylpolitik, ein deindustrialisierendes Land, ein Staat, der sich mehr um symbolische Signale als um funktionale Ordnung kümmert. Wenn Bürger sich an die AfD wenden, dann nicht, weil sie von ihr „verführt“ wurden, sondern weil sie sich von den anderen abgewendet haben – aus guten Gründen.

Fazit: Eine ideologische Therapie ersetzt keine Analyse

Der Artikel in der Morgenpost reiht sich ein in die gängige Praxis: Ursachenverschiebung statt Ursachenanalyse. Wer die AfD „erklären“ will, ohne die gesellschaftlichen, ökonomischen und kulturellen Verwerfungen der Gegenwart ernsthaft in den Blick zu nehmen, betreibt keine Aufklärung, sondern Symptombekämpfung. Die eigentliche Frage lautet nicht: Warum wählen Menschen AfD?
Sondern: Was hat diese Republik in einen Zustand geführt, in dem eine radikale Opposition zur einzigen Stimme der Normalität wird?

Solange diese Frage unbeantwortet bleibt, wird kein „Faktor“ den Aufstieg der AfD aufhalten. Auch kein Artikel, vor allem auch nicht dieser!

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