Frankreichs Systemkrise und warum die AfD mit ihrer Euro-Kritik von Anfang an Recht hatte

Frank-Christian Hansel

Was 2013 als Provokation galt, ist 2025 zur Bestätigung geworden. Die Gründungskritik der AfD am Euro war keine ideologische Rebellion, sondern beruhte auf einer ordnungspolitischen Logik. Denn mit Frankreich steht heute nicht der Rand, sondern der Kern der Eurozone vor der Zerreißprobe:
114 Prozent Staatsverschuldung, 5,8 Prozent Defizit, eine gelähmte Regierung – Frankreich ist das neue Athen, nur mit atomarer Abschreckung und systemischer Bedeutung.

Damit schließt sich der evidenztheoretische Kreis der AfD-Gründungsdebatte:
Der Euro scheitert nicht an mangelnder Solidarität, sondern an seiner eigenen Konstruktion.
Und es zeigt sich zugleich: Nicht die AfD hat sich radikalisiert – radikalisiert haben sich die institutionellen Fehlentwicklungen, vor denen sie von Anfang an gewarnt hat.

I. Frankreichs Dilemma – das Zentrum wird zum Risiko

Frankreich ist 2025 die Achillesferse Europas.

  • Staatsverschuldung: 114 % des BIP

  • Defizit: 5,8 % des BIP (≈ 169 Mrd €)

  • Wachstum: kaum 0,5 % (Q3 2025, Reuters)

  • Rating: Herabstufung auf A+ (Fitch, September 2025)

  • Politische Lage: drei Premierminister in 18 Monaten

Die Nationalversammlung ist politisch gespalten und blockiert, die Reformfähigkeit erloschen, der Präsident hilflos. Frankreich kann nicht sparen, weil letztlich unregierbar geworden, es kann nicht wachsen, weil es strukturell überreguliert ist und und es kann nicht abwerten, weil es im Euro gefangen ist.

Der „Frankreich-Spread“ – der Zinsaufschlag gegenüber deutschen Staatsanleihen – liegt inzwischen bei 80 Basispunkten, Tendenz steigend.
Das ist kein Randphänomen, sondern der Beginn eines systemischen Vertrauensverlusts:
der Moment, in dem der Euro das Vertrauen seiner Gläubiger zu verlieren beginnt.

II. Die Gründungsthese der AfD – und ihr Beweis im Jahr 2025

Indem die Professoren Bernd Lucke und Joachim Starbatty 2013 die AfD-Gründungsmotive formulierten, setzten sie ihre nüchterne ökonomische Warnung in ein politisches Projekt um, um systemischen Widersprüchen begegnen zu können. Starbatty nannte die Euro-Konstruktion eine „vergemeinschaftete Verantwortungslosigkeit“, Lucke sprach von der „fiskalischen Falle.

Diese Argumente waren die Geburtsformel einer Programmatik, die bis heute inhaltlich konsistent geblieben ist – von der frühen Eurokritik über die Ablehnung der Transferunion bis hin zur Forderung nach nationaler Budgethoheit. Die AfD hat ihren ordnungspolitischen Kern nie aufgegeben; sie hat ihn lediglich auf neue Krisenlagen angewandt.

Das gern bemühte Narrativ, die AfD habe sich „radikalisiert“, verkennt diese innere Linie der Rationalität:
Nicht die Partei hat sich verschärft – die Realität hat sich zugespitzt.
Was 2013 theoretisch diskutiert wurde, ist 2025 fiskalische Alltagserfahrung.

III. Drei gemeinsame Logik der drei Krisen:

1. Die Finanzkrise 2008/09: Der Staat rettete Banken, nicht Märkte. Die Schuldenquote der Eurozone stieg von 60 auf 73 Prozent des BIP. Damit begann die schleichende Sozialisierung privater Risiken – das Ende der Haftungstrennung.

2. Die Schuldenkrise 2010–2012: Die Rettung Griechenlands, Portugals und Spaniens machte die EZB zum politischen Akteur. Mario Draghis „Whatever it takes“ war ökonomisch notwendig, politisch aber der Wendepunkt: Geldpolitik wurde zur Fiskalpolitik. Starbatty sprach damals zurecht von einem Putsch, da die Haftungsvergemeinschaftung des ESM-Stabilitätsmechanismus in einer Nacht ohne echter demokratisch-parlamentarischer Befassung durchgezogen wurde.

3. Die Frankreich-Krise 2024/25: Nun ist der Kern betroffen. Frankreich steht für das, was die AfD vorhersah: Ein Land, das innerhalb der Euro-Fesselung weder sparen noch wachsen noch steuern kann. Die Stabilität des Systems hängt an der Instabilität seines größten Mitglieds.

IV. Das radikalisierte System

Die eigentliche Radikalisierung fand nicht bei den Eurokritikern, sondern bei den Institutionen statt. Was als Stabilitätspakt begann, ist zu einer dauerhaften Regelaufweichung geworden. Was als Währungsdisziplin gedacht war, hat sich in Dauer-Schuldenpolitik verwandelt. Und was vorgeblich als politisches „Friedensprojekt“ galt, produziert heute politische Polarisierung.

Der Brexit war der erste empirische Beweis dieser Entwicklung: Ein EU-Mitglied, das die ökonomische Selbstbestimmung wiedererlangen wollte, wurde als Außenseiter behandelt – und hat dennoch ökonomisch überlebt. Die europäischen Institutionen aber haben seither ihre Eingriffstiefe weiter gesteigert: neue Schuldeninstrumente, dauerhafte Hilfsfonds, Green-Deal-Subventionen. Das ist keine Stabilisierung, sondern eine Institutionenradikalisierung – die exakte Umkehrung dessen, was ordnungspolitisch intendiert war.

Die AfD-Programmatik hat auf diese Dynamik nicht mit ideologischer Zuspitzung reagiert, sondern mit konsequenter Fortschreibung ihres Grundsatzes: Haftung, Kontrolle und nationale Demokratie gehören zusammen. Das war 2013 richtig – und es ist 2025 überlebensnotwendig.

V. Mögliche Exit-Szenarien – wenn das Zentrum wankt

  1. Kontrolliertes Auseinanderdriften
    Zwei Währungsblöcke – ein Nord-Euro und ein Süd-Euro – ermöglichen Anpassung durch Abwertung und Wiederherstellung realer Wettbewerbsfähigkeit. Eine geordnete, ökonomisch rationale Korrektur – wie sie Starbatty u.a. schon vorschlugen.

  2. Der französische Sonderweg
    Eine nationale Ergänzungswährung („Euro-Franc“) zur Entlastung der Haushalte; formeller Verbleib, aber faktische Dualität. Das Modell bewahrte den Schein der Einheit, nicht ihre Substanz.

  3. Europäische Monetarisierung
    Die EZB kauft unbegrenzt französische Anleihen – kurzfristig stabil, langfristig fatal. Der Euro würde den Weg zur weichen Schuldenwährung verstetigen, seine Glaubwürdigkeit wäre dahin.

Alle drei Varianten bestätigen die Ausgangsthese: Eine Währungsunion, die Reformunfähigkeit produziert, löst sich entweder schleichend oder abrupt auf.

VI. Der späte Triumph der Vernunft

Mit dem Frankreich-Dilemma schließt sich der Kreis. Die Euro- und EU-Krise, einst an den Rändern verortet, ist im Zentrum angekommen. Die AfD hat nicht den Kurs gewechselt – die Wirklichkeit hat sich in ihre Richtung bewegt. Der Euro stirbt nicht an zu wenig Solidarität, sondern an zu viel Verantwortungslosigkeit. Frankreich liefert den empirischen Beweis, der Brexit den Präzedenzfall, und die institutionelle Dauer-Krise der EU die moralische Rechtfertigung für jene frühe Warnung, die 2013 als Zumutung galt und 2025 als nüchterne Realität erscheint.

Die AfD hat in dieser ganzen Entwicklungsphase ihre Linie nie aufgegeben oder sich opportunistisch angepasst. Vielmehr hat sie schrittweise die Logik ihrer Positionen entfaltet:

  • Von der Eurokritik (als ökonomisches und vertragliches Problem),

  • zur Kritik der EU-Institutionen (wegen Demokratiedefizit, Bürokratismus und Machtanmaßung),

  • hin zur Forderung nach einem Neustart Europas (in Form eines Bundes souveräner Nationen).

Diese Linie zieht sich stringent durch die Programme der Jahre 2013 bis 2024. Die heute formulierten Positionen zur Auflösung der EU in ihrer jetzigen Form und zur Etablierung eines neuen europäischen Ordnungsmodells sind folgerichtig und bestätigen retrospektiv die früheren Einsichten der Partei. Die AfD hat sich von Anfang an als Stimme der Vernunft, des Rechts und der nationalen Souveränität verstanden. Ihre Eurokritik war nie eindimensional, sondern ein Ausdruck tieferer demokratischer und freiheitlicher Überzeugungen. Die AfD ist sich treu geblieben:

Die Vielzahl der EU-Krisen (Finanzkrisen, Migrationskrise, Corona, Energiekrise qua Klimarettungspolitik) haben die AfD in ihrer Linie bestätigt. Diese Krisen wurden mithin instrumentalisiert, um die Staatswerdung der EU gegen den Willen der Völker voranzutreiben. Das bestätigt im Nachhinein die anfängliche Annahme, dass ein Staatenbund auf Freiwilligkeit und nationaler Identität beruhen muss, statt auf zentralistischer Homogenisierung. Nicht die AfD hat sich radikalisiert. Radikalisiert hat sich Europa – gegen seine eigene ökonomische Vernunft.