Die geoökonomische Zeitenwende und das Problem nationaler Souveränität: Von Schmitt über Luttwak zu Sloterdijk
Zur Lage: Die neue Weltordnung als Handelskrieg
Die Globalisierung alter Prägung ist am Ende. An ihre Stelle tritt keine friedlich-multipolare Koexistenz, sondern eine neue tektonische Konstellation: die geoökonomische Zeitenwende. Die Mechanismen des globalen Handels, einst als Mittel zur Befriedung gefeiert, werden zunehmend selbst zu Instrumenten der Machtprojektion. Edward Luttwak prägte dafür den Begriff der "Geoökonomie" als Fortsetzung von Geopolitik mit den Mitteln der Wirtschaft.
Diese Entwicklung stellt die klassische Vorstellung von Souveränität in Frage. In einer Welt, in der nicht mehr Armeen, sondern Exportbeschränkungen, Datennetze und Subventionen über Macht entscheiden, muss auch die Theorie der Souveränität neu gefasst werden. Carl Schmitts Begriff des "Ausnahmezustands" und Peter Sloterdijks Theorie der "Sphären" bieten zwei erkenntnisleitende Perspektiven auf diese Umbruchsituation.
Ein Beitrag des amerikanischen "Star"ökonomen Kenneth Rogoff in der WirtschaftsWoche Nr. 30/2025 bestätigt diesen Befund eindrucksvoll: Trumps Zolldrohungen, der schleichende Abstieg des Dollars, Europas strategische Orientierungslosigkeit und Rogoffs hilfloses Festhalten an liberalen Normen zeigen exemplarisch, wie das alte Vokabular versagt, während sich die Realität bereits in geoökonomischen Kategorien organisiert.
Carl Schmitt: Der Ausnahmezustand ist ökonomisch
Carl Schmitts klassische Definition: "Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet", verweist auf den politischen Urakt, der im Ernstfall Recht setzt, wo es zuvor keines gab. In der geoökonomischen Weltordnung wird der Ausnahmezustand nicht mehr durch kriegerische Angriffe, sondern durch wirtschaftliche Interventionen ausgelöst: Blockaden, Sanktionen, Exportverbote, Datenabschaltungen.
Die Souveränität äußert sich heute in der Macht, eine Lieferkette zu unterbrechen, ein Zahlungssystem (SWIFT) abzuschalten oder einen Marktzugang zu verweigern. Die strategische Kontrolle über globale Knotenpunkte – sei es in der Mikrochip-Produktion oder der maritimen Logistik – ist das neue Territorium des Ausnahmezustands. Der Souverän entscheidet nicht mehr über Krieg oder Frieden, sondern über Zugang oder Ausschluss.
Diese Perspektive lässt sich unmittelbar auf Rogoffs Dollar-Analyse anwenden: Die weltweite Rolle des Greenback beruht auf der Souveränität der USA im Ausnahmefall – und auf der Fähigkeit, diese Finanzmacht politisch zu instrumentalisieren. Rogoff beschreibt die Erosion dieser Macht, ohne den schmittianischen Grundsatz auszusprechen: Wer die Ausnahme nicht mehr kontrolliert, verliert die Souveränität.
Edward Luttwak: Die Grammatik des Konflikts hat sich verändert
Luttwak hat frühzeitig erkannt, dass die Logik der Geopolitik nicht verschwindet, sondern sich transformiert. Nach dem Kalten Krieg verschwanden die Frontlinien, aber nicht der Konflikt. Die neuen Waffen heißen Subventionen, Technologiesperren, Investitionskontrollen. Die neue Grammatik des Krieges ist eine Grammatik des Handels.
In dieser Ordnung wird jede wirtschaftliche Entscheidung potenziell zur strategischen Handlung. Der Aufstieg Chinas, die russische Energieerpressung, die amerikanische Chipstrategie, all das sind Ausdruck geoökonomischer Machtpolitik. Der Unterschied zum klassischen Krieg besteht weniger in der Zielrichtung – Machterhalt, Ausschluss, Dominanz – als in der Form: Der Krieg trägt jetzt Krawatte und argumentiert mit Zöllen.
Trumps Aufstieg markiert in diesem Zusammenhang eine metapolitische Zäsur: Er spielt nicht außerhalb der Regeln, sondern mit anderen Regeln. Rogoffs liberale Alarmrufe gegen Trumps Angriffe auf die Fed oder auf Harvard verkennen den Kern des Problems: Es geht nicht um Regelbruch, sondern um die Umwertung von Regeln selbst – ganz im Sinne Luttwaks geoökonomischem Realismus.
Peter Sloterdijk: Die Krise der Sphäre und die Rückkehr der Exosphäre
Peter Sloterdijks "Sphärentrilogie" beschreibt Globalisierung als Bildung einer makrosphärischen Weltblase, in der Vertrauen, Austausch und Integration den Takt vorgeben. Diese Blase ist im Begriff zu platzen. Die geoökonomische Realität bringt nicht mehr Integration, sondern selektive Entnetzung, kontrollierte Offenheit, strategische Regionalisierung.
Sloterdijks Begriff der "Exosphäre" wird damit politisch relevant: Staaten müssen sich neue Schutzzonen schaffen, autarke Funktionsräume, von denen aus sie mit der Welt interagieren können, ohne von ihr verschlungen zu werden. Geoökonomie ist in diesem Sinne ein Programm der Entbindung vom Totalzugriff des Globalen.
Rogoffs Rückgriff auf das alte europäische Potential – Binnenmarkt, fiskalischer Spielraum, Innovationskraft – wirkt aus dieser Sicht wie ein nostalgischer Verweis auf eine Sphäre, die es so nicht mehr gibt. Europas Aufgabe bestände vielmehr darin, eine eigene Exosphäre aufzubauen: strategisch souverän, resilient und politisch selbstbewusst.
Konsequenz: Souveränität als selektive Verflechtung
Die Souveränität des 21. Jahrhunderts besteht nicht mehr im territorialen Monopol auf Gewalt, sondern in der Fähigkeit zur Gestaltung globaler Verflechtung. Wer nicht in der Lage ist, selektiv zu integrieren und zu entkoppeln, wird fremdbestimmt. Deutschland, mit seinem dogmatisch verengten Exportmodell und seiner ideologisch motivierten Industriepolitik, erscheint in dieser Ordnung nicht als Akteur, sondern als Objekt.
Eine konservative Geoökonomie muss daher auf vier Grundprinzipien setzen:
- Technologische Souveränität: Aufbau eigener Produktions- und Dateninfrastrukturen.
- Energieautarkie: Diversifikation und Reindustrialisierung im Energiesektor.
- Kapital- und Investitionskontrolle: Schutz strategischer Sektoren vor feindlicher Übernahme.
- Wiederaneignung der Exosphäre: Politische Gestaltung wirtschaftlicher Offenheit unter nationaler Prämisse.
Die neue Weltordnung kennt keine unschuldige Verflechtung mehr. Jede Beziehung ist potentiell politisch, jeder Handel potentiell feindlich. Die Nation wird nicht durch Abschottung souverän, sondern durch kluge Steuerung ihrer ökonomischen Durchlässigkeit. Souverän ist heute, wer über die Bedingungen der Verflechtung entscheidet. Alles andere ist Abhängigkeit.