Das Ende des Parlamentarismus, wie wir ihn kennen. Ein Einspruch!

Demokratie soll heißen Volksherrschaft. In der parlamentarischen repräsentativen Demokratie wird das Volk im Parlament abgebildet, und zwar im Wählerproporz, der gesetzlich verankert ist. Die unterschiedlichen Interessen und Meinungen, die im Volke herrschen, finden so zunächst einmal formal Eingang in die parlamentarische Debatte, sofern von den Parteien in Deutschland die 5%-Hürde übersprungen wird. Die unterschiedlichen gesellschaftlichen Meinungen und Standpunkte können dort dann auch ausgesprochen und gehört werden.

Zwar finden über diesen institutionellen Weg auch Minderheitsmeinungen Eingang in das Parlament, durch das Mehrheitsprinzip aber nicht in dessen Entscheidungen. Da herrscht vielmehr das eherne Spiel von Regierung mit der sie bildenden Mehrheitsfraktionen und Opposition mit ihren Minderheitsfraktionen. Soweit die bisherigen Spielregeln.

In der Bonner Republik gab es heftige und legendäre Schlagabtausche zwischen Regierung und Opposition, es ging hart zur Sache, es wurde verbal ausgefochten, die Standpunkte waren klar. Strauß, Schmidt, Wehner, das sind die geläufigen Beispiele. Man schenkte sich nichts, aber man respektierte sich als politischen Gegner.

Das hat sich allerdings in der Berliner Republik mit dem nachhaltigen Erfolg der Alternative für Deutschland (AfD), die sich mit ihrem Wiedereinzug als starke Oppositionspartei auf kommunaler-, Landes-, Bundes und EU-Ebene nachhaltig im parlamentarischen System der Bundesrepublik etabliert hat, geändert.

Die fünf Parteien CDU/CSU, FDP, SPD, Linke und Grüne haben sich im Sinne eines gemeinsamen „Kampfes gegen rechts“ verbunden und sagen vereint: Die AfD darf nicht mitspielen. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Weil das Machtkartell, zu dem sich die fünf Parteien verabredet haben, seine Pfründe nicht noch einmal teilen wollen. Zu schmerzlich war und ist der Macht-, Einfluss- und Geldverlust für alle  Beteiligten.

Die Wahlergebnisse der SPD haben sich in den letzten 15 Jahren quasi halbiert. Dennoch hat die SPD den sich lang hinziehenden Erosionsprozess ihrer Wählerschaft durch Entstehung der Grünen ab den 80er Jahren im Westen und den Eintritt der ehem. SED-Staatspartei alias Die LINKE in das wiedervereinigte Deutschland im Ostteil mittlerweile machttechnisch quasi kompensiert, indem sie beide Abspaltungen ihrer ehemaligen Wählerschaft als Koalitionspartner in einen potentiell mehrheitsfähigen Linksblock einbinden konnte (R2G).

Diesem schmerzhaften Erosionsprozess ihrer Wählerschaft will sich jetzt die CDU, die vom Durchbruch der AfD massiv eingeschüchtert und gestutzt wurde, entgegenstellen. Daher sind, anders als auf den ersten Blick gedacht, die Union und auch die Liberalen die eigentlichen aktiven Treiber des Ab- und Ausgrenzungsnarrativs gegen die AfD, weil sie natürlich wissen, aber bei Strafe ihres Untergangs verdrängen müssen, dass die AfD als Partei des politischen Realismus aus der Mitte der Gesellschaft Teil ihres eigenen Fleisches ist. Zur Erinnerung: Ohne den von der FDP mitgetragenen Eurorettungskurs von CDU-Kanzlerin Merkel hätte die AfD nicht den durchschlagenen Anfangserfolg 2013/2014 in der Öffentlichkeit und bei den Wählern gefunden.

Da im föderalen Staatsaufbau der Bundesrepublik die Landesregierungen an der Willens- und Entscheidungsfindung über den Bundesrat an der Gesetzgebung im Bund mitwirken, verschwimmt im Gesamtstaat die starre politische Gegnerschaft von Regierung und Opposition, da – bis auf die AfD als neuer ungeliebter Konkurrent  – alle irgendwo mitregieren. Und die, die alle mitmischen, bilden somit de facto ein stetig zusammengewachsenes Machtkartell.

So koalieren eben nicht nur SPD, Grüne und FDP als Ampel im Bund, sondern aktuell:

CDU und Grüne in Hessen,

CDU und FDP in NRW,

CDU, SPD und Grüne in Brandenburg (SPD-geführt) und in Sachsen (CDU-geführt),

CDU, Grüne und FDP in Schleswig-Holstein,

CDU, SPD und FDP in Sachsen-Anhalt,

SPD und CDU in Niedersachsen und Saarland,

SPD und Grüne in Hamburg,

SPD, Grüne und FDP in Rheinland-Pfalz,

SPD und Linke in Mecklenburg-Vorpommern,

SPD, Grüne und Linke in Berlin (SPD-geführt), Bremen (SPD-geführt) und in einer Minderheitsregierung unter faktischer Duldung von CDU und FDP in Thüringen (Linke-geführt).

Jede Farben-Konstellation ist nicht nur denkbar, was es so vor 20 Jahren nicht war, sondern heute de facto schon Realität, inklusive einer Links-geführten Minderheitsregierung in Thüringen, die nach eigenem Bekunden von CDU und FDP gar nicht mehr im Amt sein dürfte. Sie ist es allein noch aus dem Grund, die AfD herauszuhalten, obwohl, nein, vielmehr weil die politisch-programmatisch-ideologischen Überschneidungen von CDU, FDP und AfD größer sind als zwischen CDU und Rot-grün. Nur das offiziell mantra-artig zur Schau gestellte Narrativ der „Brandmauer“ gegen ein absolut zu dämonisierendes „rechts“ vermag die eigentliche programmatische Nähe des bürgerlichen (Noch-Nicht-)Blocks aus CDU, AfD und FDP gegen den Linksblock von Rot-Grün zu vernebeln.

Dieses gewachsene Machtgefüge greift entsprechend auf alle Ebenen des institutionellen Gefüges des Landes durch, ob Verfassungsschutz oder Verfassungsgerichte.

Da das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Landesämter für Verfassungsschutz keine unabhängigen Institutionen sind, sondern Behörden, die dem Bundesinnenminister bzw. in der Regel den Innenministern der Länder formal und inhaltlich – beamtenrechtlich – weisungsgebunden unterstellt sind, liegt es nahe, dass der politische Wille des jeweiligen Dienstherrn nicht ohne Folgen auf die Arbeit der jeweiligen Behörde ist. Prof. Martin Wagener hat in seinem Buch „Kulturkampf um das Volk – Der Verfassungsschutz und die nationale Identität der Deutschen“, unter anderem entwickelt, dass und wie mit Hilfe des Bundesamts für Verfassungsschutz die „AfD in die [rechtsextreme] politische Ecke gerückt werden [soll], um sie mittelfristig aus dem bayerischen Landtag herauszubekommen“ (Reinbek, 2021, S. 202), bzw. als erfolgreicher politischer Konkurrent insgesamt aus dem parlamentarischen Raum.

Über die Aufgabe des Verfassungsschutzes als einer der politischen Führung unterstellten Behörde, als Instrument im „Kampf gegen rechts“ zu dienen und damit die AfD zu einem „Beobachtungsfall“ zu machen, sodass sie weiter in der Wählerschaft diskreditiert ist, dürfte kaum Zweifel bestehen; dies hat auch der vormalige Chef des Bundesamtes, Hans-Georg Maaßen, bestätigt.

In die gleiche Stoßrichtung der Diskreditierung geht das Narrativ der Selbstbezeichnung der Parteien des Machtkartells als „die demokratischen Parteien“ in Abgrenzung zur AfD, die damit explizit aus dem „demokratischen Spektrum“ auch nominell – gegen den Geist der repräsentativen Demokratie – herausgehalten werden soll. Dieses Sprachspiel hielt erst in der aktuellen Legislaturperiode systematisch Eingang in die Parlamente auf Bundes- und Landesebene.

Ebenso neu ist die institutionelle Ausgrenzung der AfD in den Parlamenten durch Verweigerung von Ausschussvorsitzen im Bundestag und in den Landtagen, durch Heraushalten anderer parlamentarischer Gremien ohne Ansicht der Eignung der Person, nur aufgrund der AfD-Parteizugehörigkeit, durch Heraushalten von Stadträten in Berlin aus den Bezirksämtern u.s.w.

Vorgemacht hat diese undemokratische Ausgrenzungspraxis bereits der Bundestag der letzten Legislaturperiode durch Verweigerung eines Vizepräsidenten. Erschreckend ist nunmehr die Billigung all dieser Brüche bisher geltender parlamentarischer Praxis durch die Gerichte. Damit kommt der Parlamentarismus, wie wir ihn kennen, an sein Ende.

Denn der Verfassungsgrundsatz der Repräsentation des Volkes im Parlament, also dass der Volkswille im Rahmen des Wählerproporzes Eingang in die parlamentarische Auseinandersetzung unter Wahrung von Minderheitenrechten findet, wird hier verletzt bzw. bewusst aus den Angeln gehoben.

Ziel all dieser Spielchen des Machtkartells ist es, dem Wähler durch permanente öffentliche Ausgrenzung und Ächtung der AfD durch Dauerwiederholung subtil systematisch einzuhämmern, dass sie nicht zu wählen sei. Es geht darum, die AfD als politische Konkurrenz aus dem Spiel zu nehmen. Und wenn der Wähler die Lektion am Ende nicht mitmacht, so steht am Ende, so die klare Absicht des Machtkartells, ihre Vernichtung mittels Verbot; völlig unabhängig davon, ob das am Ende jahrelanger Verfahren beim Bundesverfassungsgericht erfolgreich durchkäme. Allein, der Schaden wäre angerichtet und das Spiel könnte unter sich dann weitergehen.

In der von der AfD angestoßenen Debatte um die aktuelle Diätenerhöhung im Berliner Abgeordnetenhaus, die ohne den Beratungsantrag der AfD völlig ohne Aussprache seitens des 5er- Blocks abgenickt worden wäre, haben sich die 5 Fraktionen verständigt, auf die Rede des Parlamentarischen Geschäftsführers der AfD, Ronald Gläser, stellvertretend für das Machtkartell von Linkspartei bis CDU nur mit einem Redebeitrag zu antworten. So hat der Parl. Geschäftsführer der SPD, Torsten Schneider am 24. Februar 2022 in der 7. Plenarsitzung des Berliner Abgeordnetenhauses in der 19. Legislaturperiode die Katze aus dem Sack gelassen:

„Ich rede heute also für die Linksfraktion, ich rede für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, für die CDU-Fraktion und für die FDP-Fraktion (…) weil wir Ihnen eine Botschaft senden: Sie sind in der parlamentarischen Demokratie entlarvt, und Sie sind isoliert. – Vielen Dank! [Beifall bei der SPD, den GRÜNEN, der CDU, der LINKEN und der FDP]“, so das Plenarprotokoll.

Der letzte Satz hat es in sich, denn er sagt nichts anderes als dass das Machtkartell sich gemeinschaftlich weigert, die AfD als Teil des Parlaments anzuerkennen, also die AfD auch nur als politischen Gegner im Sinne eines anerkannten Mitspielers zu akzeptieren. Die AfD wird damit zum Demokratiefeind, dem damit innerhalb des demokratischen Spektrums die Legitimität entzogen werden soll.

Damit ist allerdings nicht eigentlich „die AfD isoliert“ oder in „der parlamentarischen Demokratie entlarvt“, sondern vielmehr entlarvt sich Schneider als Täter. Er begeht aktiv und offensiv eine bisher nicht dagewesene Grenzüberschreitung, einen Tabubruch. Er vollzieht die Unterscheidung von Gegner und Feind, wie sie Carl Schmitt in seinen Abhandlungen zum „Begriff des Politischen“ und der „Theorie des Partisanen“ entwickelt hat.

Der AfDler, so die Konsequenz, wird zu einem schädlichen Wesen an sich stilisiert, das isoliert gehört. Während die vermeintlichen Kämpfer gegen rechts für die Demokratie kämpfen, wird der „Demokratiefeind“, zu dem die AfD in den Reden der Kartellparteien absichtlich erklärt wird, als absoluter Unwert bekämpft. Mit der Dämonisierung des politischen Gegners als Demokratiefeind, ja mit dessen damit einhergehenden Entmenschlichung als Nazi, der mit dem absolut Bösen identifiziert wird, wird seine Vernichtung zum moralischen Imperativ.

Das alles hat mit dem Parlamentarismus, den wir im Sinne eines zivilisierten Streitens im Rahmen einer „Ethik der politischen Gegnerschaft“ kannten, nichts mehr zu tun (vgl. Marie-Luisa Frick, Reclam, 2018).

Dass die Union diese Grenzüberschreitung mitmacht, ist umso bemerkenswerter, als die CDU damit zugleich offenbar schmerzfrei gegen eigene Parteitagsbeschlüsse verstößt, wonach es mit der Linken keine Zusammenarbeit geben dürfe. Was ist es sonst, wenn sich die CDU zusammen mit den anderen Parteien des Kartells gemeinsam verabredet, nur einen Redner stellvertretend für die weiteren Fraktionen gegen die AfD sprechen zu lassen, der das Verabredete zwischen Linken, Grünen, SPD und FDP verlautbart oder, wie in Thüringen, eine Minderheitsregierung mit einem Ministerpräsidenten der Linkspartei faktisch zu tolerieren?

Daraus spricht am Ende nichts anderes als Verzweiflung im kaum gewinnbaren Selbsterhaltungskampf als Regierungspartei. Sie wendet sich dabei immer weiter von der eigenen Klientel, den Bürgerlichen, ab. Der “Kampf gegen rechts” der Union gegen die AfD wird zum Bumerang und reißt die Flanke strukturell nur weiter auf, so dass die AfD der CDU weiter Stimmen ihrer ehemaligen Wählerschaft abjagen kann; völlig unabhängig davon, ob die Funktionäre oder Mandatsträger der AfD klug genug agierten, diese Chance auch bewußt zu nutzen, was auf einem gesondert zu bewertenden Blatt steht.

Denn selbstverständlich ist der Entstehungsprozess der AfD Ergebnis der Merkel-Regierungskoalitionen von CDU/FDP und CDU/SPD und ging und geht zu Lasten von CDU und anfangs insbesondere der FDP, die aufgrund des hohen AfD-Stimmenanteils bei der Bundestagswahl 2013 sogar aus dem Parlament flog – mit allen negativen Folgen:

  • Verlust von Abgeordnetenmandaten samt Mandatsträgerabgaben an die Parteikasse,
  • hohe Millionen-Verlust bei der Wahlkampfkostenerstattung (staatliche Teilfinanzierung der Parteien),
  • Verlust hunderter Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern samt deren Gehälter im Bundestag.

Alles teils schon realisierte, aber künftig in stärkerem Maße drohende Verluste auch für die Union, die bei den letzten Wahlen zwar nicht aus dem Parlament, aber doch aus der Bundesregierung geflogen ist, mit den gleichen fatalen Folgen:

  • Verlust von Ministerämtern und Staatssekretären samt Büros und Mitarbeiter,
  • Verluste bei der staatlichen Teilfinanzierung in Millionenhöhe,
  • vom Ansehens- und Sichtbarkeitsverlust ganz zu schweigen.

Letztlich ist die von den CDU-Funktionären im Abwehrkampf gegen die AfD eingezogene Brandmauer nicht die Lösung der Probleme der Union, sondern wachsender Teil des Problems, am Ende peinliche Makulatur. Sie wird im weiteren Fortgang der normativen Kraft des Faktischen zusammenbrechen, ja verfängt praktisch im Osten bereits nicht mehr beim Wähler. Denn ginge es nach inhaltlichen Kriterien, ergäbe sich vielmehr durch die politischen Überschneidungen des Wählerwillens zwangsläufig ein oppositioneller Bürgerblock Mitte-rechts gegen den Linksblock, den es regelmäßig de facto schon gibt: Wenn nämlich die Opposition aus CDU, AfD und FDP gemeinsam Regierungsvorlagen des Linksblocks ablehnt. Rechnerisch haben Union, AfD und FDP bereits Mehrheiten. Die Anbiederung der Union an den linken Zeitgeist drängt die Union immer weiter in den politischen Teufelskreis, den sie unter Inkaufnahme zu großer fauler Kompromisse mit dem Linksblock und bei völliger Auf- als Preisgabe der Koalitionsoption nach rechts nur verlieren kann.

Leider hat das Verwaltungsgericht in Köln diesen demokratische Ungeist, diesen gegen die AfD ins Werk gesetzten politischen Vernichtungskrieg im Sinne Carls Schmitts jetzt noch nicht beendet und dem Verfassungsschutz als letztem Mittel zur Delegitimierung der AfD seitens der bisher regierenden Parteien noch keinen Riegel vorgeschoben, um den Repräsentationsgedanken in unserer parlamentarischen Demokratie wieder volle Geltung zu verschaffen.

Am Ende wird das allerdings passieren. Die AfD ist und bleibt legaler und legitimer Bestandteil unserer parlamentarischen Demokratie, ob die Anderen das wahrhaben wollen oder nicht.

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