Von der Bitcoin-Illusion zur digitalen Eigentumsökonomie – oder: Warum das Zeitalter der Digitalisierung das Geld reformieren kann – aber nicht durch Krypto-Fantasien

Frank-Christian Hansel

Bitcoin war nie nur ein Finanzprodukt. Er war immer eine Verheißung – und damit auch eine Projektion. In der kollektiven Phantasie des 21. Jahrhunderts gilt er als „digitales Gold“, als Fluchtpunkt aus einer von Schulden, Inflation und institutioneller Überforderung geprägten Welt. Doch diese Vision, die technologische Erlösung mit monetärer Autonomie verwechselt, stößt immer dann an ihre Grenzen, wenn die Realität zurückschlägt.

Genau das geschieht jetzt. Die jüngsten Turbulenzen an den Kryptomärkten sind keine zufällige Episode, sondern Ausdruck einer tieferliegenden Wahrheit. Nachdem die US-Regierung Anfang Oktober 2025 unter Präsident Trump drastische Strafzölle von bis zu 100 Prozent auf chinesische Importe verhängt und zugleich neue Exportbeschränkungen für strategische Software erlassen hat, erlebten die Märkte ein Beben: Über 19 Milliarden US-Dollar an gehebelten Kryptopositionen wurden binnen Stunden liquidiert – der größte Vorgang dieser Art in der Geschichte. Der Bitcoin verlor bis zu zwölf Prozent, Ethereum und andere Altcoins noch mehr.

Die Ursache ist nicht technischer, sondern psychologischer und politischer Natur. Zölle sind eine Steuer auf Vertrauen. Sie dämpfen Wachstum, erschüttern Investitionsbereitschaft und führen dazu, dass Kapital aus riskanten Märkten flieht – aus Aktien ebenso wie aus Krypto-Assets. Anleger suchen Schutz in Staatsanleihen, Dollar oder Gold. Kryptowährungen, die sich einst als Gegenmodell zum globalen Finanzsystem inszenierten, verhalten sich inzwischen wie dessen Derivat. Sie sind Teil desselben Mechanismus geworden, den sie überwinden wollten.

Und doch ist das Bild widersprüchlich: Während die USA protektionistische Handelspolitik betreiben, hat dieselbe Regierung im Frühjahr 2025 einen „U.S. Strategic Bitcoin Reserve“ eingerichtet – eine staatlich gehaltene Bitcoin-Reserve, entstanden aus beschlagnahmten Beständen. Offiziell soll sie nicht verkauft, sondern als Symbol nationaler Innovationskraft gehalten werden. Es ist ein paradoxes Signal: wirtschaftlicher Nationalismus und zugleich die politische Weihe eines anarchischen Mediums.

Eigentum und Illusion

Hier berührt sich die politische Gegenwart mit der Theorie. Der Bremer Ökonom Gunnar Heinsohn hat schon vor über zehn Jahren formuliert, was sich heute empirisch zeigt:

Geld entsteht nicht aus Knappheit, sondern aus Eigentum, Haftung und Vertrag. Bitcoin hingegen kennt nur Algorithmus und Anonymität. Er ist eine Konstruktion ohne Eigentum, eine Mathematik ohne Verantwortung.

„Ein Zahlungsmittel ohne Basis im Eigentum von Leuten, die mit Namen und Adresse bekannt sind, muss erfolglos bleiben“, schrieb Heinsohn 2013. Dasselbe bestätigt heute BaFin-Chef Mark Branson, wenn er feststellt: „Kryptowährungen haben keinen inhärenten Wert.“

Nobelpreisträger wie Robert Shiller, Paul Krugman oder Joseph Stiglitz sprechen offen von einer Blase; Nouriel Roubini nennt Bitcoin die „Mutter aller Spekulationen“. Die Euphorie der Krypto-Gläubigen erscheint vor diesem Hintergrund als säkulare Religion: ein Glaube an Code statt an Vertrag, an "Hashrate“ statt an Eigentum.

Gleichzeitig erlebt der Markt ein paradoxes Schauspiel. Während geopolitische Unsicherheit steigt, kletterte der Bitcoin im Oktober 2025 erstmals über die Marke von 125.000 Dollar. Der kometenhafte Preisanstieg nährt die alte Gier und die alte Illusion.

Wie Thorsten Polleit schreibt, wird der Bitcoin heute „vor allem gehortet – seine Besitzer setzen auf seine fortgesetzte Verteuerung im Zeitablauf“. Er wird kaum als Zahlungsmittel genutzt, sondern als Spekulationsgut, als Hoffnung auf ewige Preissteigerung. „Er wird gehortet, und seine Besitzer setzen auf seine fortgesetzte Verteuerung im Zeitablauf“, so Polleit. Der Bitcoin habe keine reale Entsprechung, kein intrinsisches Wertfundament – nur monetäre Nachfrage.

Der Lackmustest, so Polleit, steht noch aus: Sollte die Nachfrage nach Bitcoin als „monetärem Gut“ einmal versiegen, würde der Preis vermutlich auf null fallen. Denn anders als Gold oder Silber hat Bitcoin keinen physischen Nutzwert, keine industrielle oder ornamentale Nachfrage. Seine Existenz hängt allein vom Glauben an seine Fortexistenz ab.

Diese Feststellung fügt sich nahtlos in Heinsohns Eigentumstheorie: Ein System, das nicht auf Haftung, sondern auf Hoffnung ruht, ist kein Geldsystem, sondern eine Glaubensgemeinschaft.

Die Ästhetik der Simulationsökonomie

Die jüngsten Marktverwerfungen nach den US-Zöllen zeigen, dass Bitcoin längst kein Gegenentwurf zum System ist, sondern dessen Symptom. Er reagiert wie ein hochriskantes Finanzprodukt auf geopolitische Spannungen und Liquiditätsengpässe. Die Illusion der Unabhängigkeit löst sich in Echtzeit auf.

Dass der Glaube an Bitcoin fortbesteht, liegt auch an seinen Gestalten. Elon Musk ist der Technikschamane dieser neuen Religion: Mit einem Tweet lässt er Billionenwerte taumeln. Er ist das charismatische Medium, das zeigt, wie sehr die Märkte heute durch Narrative statt durch Eigentum bewegt werden.
Donald Trump wiederum ist der politische Tribun derselben Illusion: Einst verächtlich, nun opportunistisch bekennend, hat er Bitcoin zum Symbol amerikanischer Selbstbehauptung erklärt. In Wahrheit nutzt er ihn als kulturpolitische Requisite – als Zeichen gegen das Establishment, nicht als ökonomische Reform.

Beide Figuren bestätigen, was Heinsohn, Branson und Polleit lehren: Ohne Eigentum keine Stabilität, ohne Haftung kein Vertrauen. Wo Charisma und Stimmungen die Werte treiben, verliert das Geld seinen institutionellen Boden – und wird zum Spiegel einer hysterischen Zivilisation.

Ausblick: Digitalisierung als Eigentumsreform

Doch Heinsohn selbst war kein Gegner der Digitalisierung – im Gegenteil: Er sah in ihr die potenzielle Möglichkeit, die Kosten des Geldverkehrs zu minimieren, ohne dessen Eigentumsbasis zu zerstören: „Weil eine Geldnote kein Gut ist, kommt erst das Zeitalter der Digitalisierung dem Ideal seiner fast kostenlosen Herstellung, Lagerung und Übertragung bisher am nächsten.“

Das Ziel ist nicht Anonymität, sondern Effizienz; nicht der Ersatz von Institutionen, sondern ihre Technisierung.

Heinsohn skizzierte das Modell einer neuen digitalen Zentralbankstruktur, getragen von vielen kleinen Eigentümern, die ihr Eigenkapital online bündeln – eine „Mega-Raiffeisen-Bank“, deren Bilanzstärke transparent und kontrollierbar bleibt.

Die Zukunft des Geldes läge dann nicht im rein spekulativen Krypto-Nihilismus, sondern in einer digitalisierten Eigentumsökonomie: in einer Ordnung, die Haftung, Kredit und Eigentum nicht abschafft, sondern auf technologisch höherer Stufe reproduziert.

So verstanden wäre die Digitalisierung kein Bruch mit der monetären Zivilisation, sondern ihre Fortsetzung mit anderen Mitteln. Nicht der Algorithmus rettet das Vertrauen, sondern die Rückbindung des Digitalen an reale Eigentümer.

Vom Algorithmus zum Eigentum

Die Krypto-Turbulenzen nach den neuen US-Zöllen sind mehr als ein ökonomisches Ereignis; sie sind ein Lackmustest. Sie zeigen, dass Bitcoin nicht außerhalb des Systems steht, sondern tief in dessen spekulativer Logik gefangen ist.

Die wirkliche digitale Revolution wird nicht von anonymen Minern oder Twitter-Magiern ausgehen, sondern von einer neuen Eigentumsordnung, die Vertrauen digitalisiert, ohne es zu zerstören – einer Ökonomie, in der Haftung wieder Wert bedeutet.

Bis dahin bleibt Bitcoin das, was Heinsohn auf der Grundlage des Paradigmas der Eigentumsökonmik diagnostizierte – und was die Gegenwart täglich bestätigt: ein glänzender Schatten, ein System ohne Eigentum, ein monetärer Glaube ohne Fundament – und damit: eine Illusion, die auf ihre Auflösung wartet.