75 Jahre Freiheitsglocke im Rathaus Schöneberg: Erklärung zur Rede des Bezirksbürgermeisters von Tempelhof-Schöneberg, Jörn Oltmann (Bündnis 90/Die Grünen)

Frank-Christian Hansel

Mit seinen Äußerungen bei der Gedenkveranstaltung zum 75. Jahrestag der Freiheitsglocke am 24. Oktober 2025 hat Bezirksbürgermeister Jörn Oltmann in eklatanter Weise gegen das Neutralitätsgebot für Amtsträger verstoßen. Dieses Gebot ergibt sich unmittelbar aus Art. 20 Abs. 2 und Art. 21 Abs. 1 Grundgesetz sowie aus dem Beamtenstatusgesetz (§ 33 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG) und dem Landesbeamtengesetz Berlin (§ 36 Abs. 1 Satz 2 LBG Bln). Danach hat jeder Amtsinhaber seine Aufgaben „neutral und gerecht“ zu erfüllen und die Chancengleichheit der Parteien strikt zu wahren.

Oltmanns Rede ist ein Schulbeispiel für den Missbrauch amtlicher Autorität zur parteipolitischen Einflussnahme. Seine Aussage, es sei „immer ein großer Fehler, Rechtsextremisten in Parlamente zu wählen“, überschreitet klar die Grenze zwischen staatsbürgerlicher Mahnung und politischer Parteinahme. Zwar nennt er die betroffene Partei nicht explizit – und genau das ist der entscheidende Punkt –, doch der Kontext seiner Rede, die Zielrichtung der Argumentation und der Adressatenkreis lassen keinerlei Zweifel, wer gemeint ist.

Diese strategische Unschärfe ist ein durchschaubares prozesstaktisches Manöver: Oltmann vermeidet bewusst die namentliche Nennung der AfD, um sich formal gegen den Vorwurf der parteipolitischen Diskriminierung abzusichern. Klar ist natürlich: Wir ziehen uns diese propagandistische Feindzuschreibung selbstverständlich auch gar nicht an. Gleichwohl zielt seine Rede de facto auf die Diskreditierung einer im Bundestag und in Berliner Parlamenten vertretenen Oppositionspartei.
Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – insbesondere die „Wanka-Entscheidung“ (BVerfGE 138, 102) – stellt jedoch klar, dass nicht die wörtliche Nennung, sondern die erkennbare intendierte Wirkung entscheidend ist. Bereits der objektive Anschein parteipolitischer Parteinahme genügt, um das Neutralitätsgebot zu verletzen.

Oltmanns Verhalten erfüllt diesen Tatbestand gleich in mehrfacher Hinsicht:

  • Er spricht in amtlicher Funktion, nicht als Privatperson, im Rahmen einer öffentlichen Gedenkveranstaltung.

  • Er nutzt Symbole und Sprache des Erinnerungsdiskurses zur moralischen Markierung eines politischen Gegners.

  • Er konstruiert eine historische Parallele zwischen der heutigen parlamentarischen Opposition und den Nationalsozialisten von 1933, was inhaltlich grotesk und rechtlich unzulässig ist.

Damit liegt nicht nur ein Verstoß gegen die beamtenrechtliche Neutralitätspflicht, sondern auch gegen das Gebot der staatsfreien Willensbildung der Bürger vor. Ein Bürgermeister darf seine amtliche Autorität nicht zur indirekten Wahleinflussnahme missbrauchen – auch nicht verklausuliert, versteckt oder suggestiv.

Wir sehen hier eindeutig eine Verletzung des Neutralitätsgebots. Leider bestehen allerdings berechtigte Zweifel, dass die Gerichte eine verfassungsrechtliche Klärung, ob derartige Äußerungen geeignet sind, die politische Chancengleichheit einer im Bundestag vertretenen Partei zu beeinträchtigen, auch so entscheiden. Ich bleibe dabei: Wer als Amtsträger den demokratischen Gegner in den Schatten des Nationalsozialismus stellt, unterminiert selbst die Grundlagen des demokratischen Diskurses.
Gerade an einem Ort, der wie kein anderer für den Wert der Freiheit steht, sollte gelten: „Nie wieder“ darf nicht heißen „Nie wieder Opposition“.

Demokratie lebt vom offenen Streit der Argumente – nicht von der moralischen Ausgrenzung Andersdenkender durch Amtspersonen.

Auszug der wörtlich so abgelesenen Rede:

“…Es wurde über die Jahre eine Erinnerungskultur geschaffen, auf die wir in Tempelhof-Schöneberg besonders stolz sind. Es gilt die Menschen nicht zu vergessen, die unter dem Nationalsozialismus gelitten haben und ermordet wurden. Mit diesen Erinnerungen positiv nach vorne zu schauen, kann nur gelingen, wenn wir aus der Geschichte lernen können.

Nie wieder ist immer jetzt. Nie wieder ist immer Auftrag, Tag für Tag. Durch Glasnost, dem Kampf der Solidarnosc in Polen, der friedlichen Revolution in der DDR und weiteren Ereignissen ist der Eiserne Vorhang, spätestens am 9. November 1989 gefallen. Und auch an diesem Tag – dem 9. November 1989 - ertönte hier die Freiheitsglocke. Heute müssen wir feststellen, dass diese positiven Entwicklungen rückläufig sind und weltweit auch gefestigte Demokratien bedroht sind – nicht nur Meinungs- und Pressefreiheit eingeschränkt werden.

Der Rechtsextremismus, ein erstarkender Antisemitismus und viele weitere Probleme bedrohen die Demokratien. Was heute wieder im Deutschen Bundestag oder in anderen freien Ländern an politischen Unerträglichkeiten gesagt wird, treibt einem die Schamesröte ins Gesicht. Es ist immer ein großer Fehler Rechtsextremisten in Parlamente zu wählen.

Wer aber glaubt, dass sie sich in dem Regierungsarbeit doch mal beweisen sollten, der sollte nicht vergessen, wie schnell nach dem Januar 1933 zuerst Grundrechte eingeschränkt und dann systematisch abgeschafft wurden, wie schnell die jüdische Bevölkerung offen diskriminiert wurde und demokratische Vereinigungen, Gewerkschaften und Parteien verboten wurden. Schon im Sommer 1933 war Deutschland ein anderes Land. Die Inschrift der Freiheitsglocke zeigt deshalb auf, dass die Wiedergeburt der Freiheit nur dann gelingen kann, wenn wir uns alle jeden Tag für Frieden, Freiheit und Demokratie einsetzen. Sie sind eben keine Selbstverständlichkeit.”

 Dazu im Kontext:

https://www.youtube.com/shorts/wzZPYrJjhoA

https://studio.youtube.com/video/eXbfLyLGe94/edit