Zum 8. Mai: „Erlöst und vernichtet zugleich“. Der 75. Jahrestag des Kriegsendes: Tag der Mahnung und der Erinnerung

Vor 75 Jahren, am 8. Mai 1945, ging der Zweite Weltkrieg in Europa zu Ende. Die Unterzeichnung der Kapitulationsurkunde durch das Deutsche Reich und die alliierten Siegermächte besiegelte das Ende der Kampfhandlungen zwischen Deutschland und seinen militärischen Gegnern. Zugleich setzte die bedingungslose Kapitulation der nationalsozialistischen Eroberungs- und Vernichtungspolitik ein Ende, die in deutschem Namen seit 1939 unermessliches Leid über die Völker Europas gebracht hatte. Ihr waren 6 Millionen Juden, 3 Millionen sowjetische Kriegsgefangene und hunderttausende Sinti und Roma, Euthanasieverfolgte und Zwangsarbeiter sowie unzählige politisch, religiös, rassisch, wegen ihrer sexuellen Orientierung oder anderer Gründe Verfolgte zum Opfer gefallen. Insgesamt kamen zwischen 1939 und 1945 mindestens 50 Millionen Militärangehörige und Zivilisten ums Leben.

Für Millionen Inhaftierte und Überlebende, die unter der nationalsozialistischen Gewalt- und Vernichtungspolitik gelitten hatten, war der 8. Mai ein Tag der Befreiung. Ebenso empfanden viele Gegner des Nationalsozialismus und Bewohner der von Deutschland besetzten Länder das Kriegsende als Befreiung. Trotzdem ist der 8. Mai 1945 kein allgemeines Symbol der Befreiung.

Denn gleichzeitig mit der Zerschlagung des Nationalsozialismus begingen die Alliierten ihrerseits schwere Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen, insbesondere die sowjetischen Armeen im östlichen Teil Deutschlands und Europas. So mussten ca. 14 Millionen Deutsche aus ihrer angestammten Heimat im Osten Deutschlands und Europas fliehen oder wurden vertrieben. Dabei kamen ca. 2 Millionen Menschen ums Leben. Ca. 860.000 deutsche Frauen und Mädchen wurden vergewaltigt, oftmals mehrfach. Hunderttausende deutsche Zivilisten wurden aus Deutschland und Osteuropa in die Sowjetunion deportiert, ebenso wie hunderttausende polnische, ukrainische, baltische, finnische, kaukasische, krimtartarische, kalmykische, bulgarische, moldauische und andere osteuropäische Zivilisten. Ein hoher Prozentsatz der Deportierten kam dabei ums Leben. Ohne Rücksicht wurden von der Sowjetunion neben drei Millionen deutschen Kriegsgefangenen, von denen nur ca. 2 Millionen nach Deutschland zurückkehren sollten, auch Millionen eigentlich befreite, ehemalige sowjetische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter in sowjetische Arbeitslager deportiert, vom Schicksal der Kosaken und Anhänger Wlassows ganz zu schweigen. Jeder, der sich der Sowjetisierung Osteuropas in den Weg stellte, wurde rücksichtslos interniert, deportiert oder liquidiert.

Vor diesem Hintergrund taugt das geschichtsträchtige Datum des 8. Mai 1945 nicht zu einem allgemeinen Symbol der Befreiung. Denn Stalin und Ulbricht waren keine Befreier. Der Begriff der Befreiung wird den Opfern der sowjetischen Unterdrückung in Osteuropa nicht gerecht. Für viele Ostdeutsche und Osteuropäer wurde 1945 lediglich eine Diktatur durch eine andere ersetzt. Deshalb ist es angebracht, im Hinblick auf den 8. Mai 1945 von einer „halben Befreiung“ Deutschlands und Europas zu sprechen. Denn während das nationalsozialistische Unrecht durch die Niederlage Deutschlands beendet wurde und im Westen in den Jahren nach der Kapitulation eine Perspektive für die Versöhnung der ehemaligen Kriegsgegner und einen demokratischen Wiederaufbau eröffnet wurde, errichtete Stalin im Osten Deutschlands und in Osteuropa neue Diktaturen sowjetischer Prägung.

Erst mit dem Umbruch in Osteuropa ab 1989 und der Friedlichen Revolution in der DDR zerfiel das sowjetische Imperium. Und erst der Sturz der SED-Diktatur im Herbst 1989 brachte Ostdeutschland und Berlin die Befreiung.

Jedes Gedenken an den 8. Mai 1945 muss dieser Ambivalenz des Kriegsendes Rechnung tragen. Die Deutschen sind am 8. Mai 1945 vom Nationalsozialismus befreit worden, aber Freiheit und Demokratie hielten in ganz Deutschland erst 1989 Einzug. Eine bis heute treffende Bewertung des 8. Mai 1945 stammt von Theodor Heuss, dem späteren ersten Bundespräsidenten. Vier Jahre nach Kriegsende skizzierte er die doppelte Bedeutung des 8. Mai 1945 wie folgt:

„Im Grunde genommen bleibt dieser 8. Mai 1945 die tragischste und fragwürdigste Paradoxie der Geschichte für jeden von uns. Warum denn? Weil wir erlöst und vernichtet in einem gewesen sind.“

Erlösend waren die Zerschlagung des Nationalsozialismus, die Befreiung der Konzentrationslager und das Ende des Krieges. Vernichtend waren die Schutzlosigkeit gegen Willkür der Sieger, der Verlust nationaler Selbstbestimmung, die Zerstörung von Städten und Kulturgütern, das Elend der Kriegsgefangenen und Zivildeportierten, der Verlusts eines Drittels des Staatsgebietes und die Vertreibung, die deutsche Teilung und schließlich die Errichtung einer neuen Diktatur in der DDR.

Der 75. Jahrestag des 8. Mai 1945 gibt Anlass, zurückzublicken und sich des Krieges, aber auch der Leistungen des Wiederaufbaus nach 1945 und der Versöhnung zwischen den einstigen Kriegsgegnern zu erinnern. Die Kriegstoten, getöteten Zivilisten, Ermordeten, Vergewaltigten, Geschändeten und Vertriebenen mahnen uns, Krieg und Diktatur für immer zu ächten. Nie wieder dürfen die europäischen Völker gegeneinander Krieg führen.

75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges verneigen wir uns vor den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft. Gleichzeitig ehren wir das Andenken all derjenigen, die der Politik des Krieges, der Vernichtung und der Barbarei Widerstand entgegengesetzt oder schlicht unter widrigen Umständen die Menschlichkeit bewahrt haben.

Dabei ist es uns eine bleibende Verpflichtung, die Erinnerung an die Verbrechen jener Jahre wachzuhalten und zukünftige Generationen vor totalitären Verlockungen zu bewahren.

Zu diesem Zweck unterstützen wir die Arbeit der Gedenkstätten, Mahnmale und Museen, die an den Krieg und die totalitären Gewaltregime des 20. Jahrhunderts erinnern und über sie aufklären. Das sind wir den Opfern des Krieges, aber auch uns selbst schuldig.

In einer Zeit, in der die überlebenden Zeitzeugen weniger werden und das Interesse an Geschichte nachlässt, gilt es nun, über neue Formen des Gedenkens zu reflektieren. Es ist gut, dass in Berlin allgemein akzeptierte Räume der Mahnung und Erinnerung an die nationalsozialistische Gewaltherrschaft und den Zweiten Weltkrieg geschaffen wurden. Dazu gehören an zentraler Stelle die Topographie des Terrors, das Holocaust-Mahnmal mit dem Ort der Erinnerung und die Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Diese Orte müssen in absehbarer Zeit nun durch ein Mahnmal für die Opfer des Kommunismus ergänzt werden. Unsere Verantwortung für die Geschichte verlangt, die Erinnerung für das Geschehene auch für zukünftige Generationen wachzuhalten. Die Erfahrung von Krieg, Nationalsozialismus und Kommunismus ist uns eine bleibende Verpflichtung, für Frieden, Freiheit und Demokratie einzutreten und insbesondere jede Form von Antisemitismus entschieden zu bekämpfen.

(Unser Antrag der AfD-Fraktion Berlin im Berliner Abgeordnetenhaus zu diesem einmaligen gesetzlichen Feier-Gedenktag in Berlin)

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