Warum die AfD-Fraktion Berlin die Einsetzung einer Enquete-Kommission „100 Jahre (Groß-)Berlin 2.0 – Zu einer Verwaltungs- und Parlamentsreform für das Berlin des 21. Jahrhunderts“ fordert…

1.

Mit dem Groß-Berlin-Gesetz von 1920 wurde die Grundlage des zweistufigen Verwaltungsaufbaus als angemessene organisatorische Grundstruktur geschaffen, die sich trotz unterschiedlichster Bedingungen in der Zeitschiene (Teilung und Frontstadt, Desindustrialisierung, Wiedervereinigung und Globalisierung) prinzipiell bewährt und bereits als grundsätzlich reformfähig erwiesen hat. Die Konstruktionsidee der dezentralisierten Einheitsgemeinde Berlin ist sinnvoll und praktikabel, weil Städte dieser Größenordnung angesichts ihrer Ausdehnung und Bevölkerungszahl nicht von einer zentralen Stelle regiert werden können. Veränderungen sind allerdings in der überregulierten Prozessstruktur erforderlich, weil eine unzweckmäßige Organisation von Entscheidungsprozessen und Arbeitsabläufen Effizienz und Effektivität des Verwaltungshandelns beeinträchtigt.

Das 100-jährige Jubiläum des Groß-Berlin-Gesetzes in 2 Jahren ist Anlass genug, eine Weiterentwicklung der bisherigen Verwaltungsreformen hin zu einer noch effektiveren Struktur der politischen Steuerung Berlins ergebnisoffen zu prüfen.

Wir spüren alle, dass es im zweistufigen System Berlins zwischen den beiden Ebenen einen nicht unerheblichen vertikalen Koordinationsbedarf gibt, der den Anforderungen von Kooperation und Konflikt zwischen Senatsverwaltungen und Bezirksverwaltungen objektiv nicht immer gerecht wird. Das Gerangel um die Schulsanierung ist bestes Beispiel dafür.

2.

Hinsichtlich der Struktur- und Funktionalreform der zweistufigen Verwaltung der dezentralen Einheitsgemeinde Berlins soll die Enquete unserer Ansicht nach den Prüfauftrag erhalten, das Spannungs- und Konfliktverhältnis von Zentralisierung und Dezentralisierung grundsätzlich ergebnisoffen neu zu evaluieren und Empfehlungen zu erarbeiten, wie eine transparente, effiziente und effektive Aufgabenverteilung zwischen Senatshauptverwaltungen und Bezirksverwaltungen unter dem zunehmenden Druck der „wachsenden Stadt“ institutionell neu gestaltet werden kann.

Die Städte München und Hamburg haben ähnliche Probleme der Stadtentwicklung zu bewerkstelligen und sind dabei hinsichtlich der Effizienz und Effektivität ihrer Verwaltungsstrukturen vergleichend zu betrachten. Insbesondere dürfte der Vergleich mit der zweistufigen Struktur Hamburgs spannend werden. Im  internationalen Kontext sind die Metropolregionen Paris mit seinen 20 Arrondissements und London mit den „Boroughs“ vergleichbar.

Um die Verantwortung dezentral delegierter Verantwortung auch personell und politisch sichtbar zu machen, sollen die Möglichkeiten einer Direktwahl der Bezirksbürgermeister oder die Bildung des „Politischen Bezirksamts“ ergebnisoffen geprüft werden.

Alternativ dazu ist aber aus unserer Sicht ebenfalls zu untersuchen, ob bezirkspolitische Fragen nicht auch in Bezirksausschüssen im Abgeordnetenhaus (Erweiterung des Aufgabenspektrums) entschieden werden können, die dann administrativ durch Verwaltungsprofis bzw. bezirklich Spitzenbeamte umgesetzt und deren Umsetzung durch die Bezirksverordnetenversammlungen kontrolliert werden. Das entspräche stärker dem Hamburger Modell.

In diesem Kontext möchten wir unabhängig von der Ausgestaltung der kommunal-verfassungsrechtlichen Regelungen untersuchen, wie das Verfahren zur Auswahl der Stadträte bzw. Dezernenten in Zukunft nach stärkerer Berücksichtigung der Befähigung und transparenter gestaltet und aus der „Hinterzimmerkungelei“ der Parteien herausgeholt werden kann (z.B. bundesweite Ausschreibungen).

3.

An dieser Stelle wird es spannend, denn hier geht es um eminente und elementare Besitzstandswahrungsinteressen der Altparteien. Nicht umsonst haben sowohl Funktionäre von CDU und SPD in unterschiedlichen Kontexten unter der Hand zu erkennen gegeben, dass eine substanzielle Strukturreform einem politischen Selbstmord gleichkäme, da hier die sogenannten Pfründe ins Spiel kämen. Parteiinterne Widerstände würden jeglichen Reformansatz, der Machtverteilungsspielräume der Parteien einschränkt, ins Leere laufen lassen. Mit einem Wort: Dafür gibt es vermutlich keine Mehrheiten.

Denn klar ist: Einerseits bedeuten weniger Mandate im Abgeordnetenhaus weniger Verteilungsmacht der Parteien an ihre Funktionäre, um diese ruhigzustellen, und andererseits könnte eine Funktionalreform der Aufgaben auf Bezirksebene weniger Einfluss für die BVV und die Bezirksverordneten bedeuten.

Genau hier kommt die AfD ins Spiel, denn die AfD ist derzeit die einzige politische Kraft, die ihre politische Arbeit noch nicht an partei-machtstrategischen Personalbefriedungsinteressen ausrichten muss, da die Mandats- und Ämterbindung noch nicht so erdrückend ist, wie bei den Altparteien. Diesen entscheidenden Vorteil wollen und müssen wir jetzt in dieser ersten Legislaturperiode fruchtbar machen, denn die normative Kraft des Faktischen dürfte spätere Reformbemühungen aus gleichen Gründen wie den Konkurrenzparteien eher bremsen. 

Noch können wir als AfD mir Recht behaupten, uns näher am Wähler- und Bürgerwillen zu orientieren, als die Konkurrenzparteien, die viel stärker an ihre Binnenorganisationen denken müssen. Das verleiht der AfD eine höhere Glaubwürdigkeit beim Reformansatz und -willen. Und diese höhere Glaubwürdigkeit ist das Pfund, das wir hier in den parlamentarischen Prozess einbringen wollen, indem CDU und SPD unseren Konkurrenzdruck spüren und sich veranlasst sehen, in eine Reformdiskussion einzusteigen.  

4.

Bei der Parlamentsreform besteht die Aufgabe der Enquete darin, Maßstäbe für die Bestimmung einer angemessen Mandatszahl sowie der finanziellen Ausstattung des Abgeordnetenhauses von Berlin bei ggf. erweiterter Aufgabenstellung zu bestimmen. Dabei hat sich die Arbeit der Kommission vorrangig an den Zielen einer bürgernahen demokratischen Repräsentation, der finanziellen und organisatorischen Gleichwertigkeit parlamentarischer Kontrollmöglichkeit von Mehrheits- und Oppositionsfraktionen sowie insbesondere der Verpflichtung zur Sparsamkeit bei der Verwendung von Steuermitteln der Bürger zu orientieren. Eine der hier besonders zu prüfenden Möglichkeiten stellt dabei einerseits eine deutliche Verringerung der Anzahl der Abgeordneten sowie zum anderen eine weitere Professionalisierung der Arbeit im Abgeordnetenhaus von Berlin in Richtung Vollzeitparlament dar.

Seit Jahren nimmt die Anzahl der Abgeordneten des Abgeordnetenhauses von Berlin zu. Die Verfassung des Landes Berlin schreibt nach Art. 38, Absatz 2 eine Mindestzahl von 130 Abgeordneten fest. Saßen in der 17. Wahlperiode bereits 149 Abgeordnete im Abgeordnetenhaus von Berlin, so sind es seit der Wahl vom 18. September 2016 (18. Wahlperiode) durch die Bestimmungen im Landeswahlgesetz zu Ausgleichs- und Überhang-mandaten bereits 160 MdA. Da jeder Abgeordnete bis zu drei Mitarbeiter beschäftigen kann, vervielfacht sich somit die Gesamtzahl der Abgeordneten und ihrer Mitarbeiter von Wahlperiode zu Wahlperiode auf mehrere Hundert und belastet den Berliner Landeshaushalt unverhältnismäßig.

Nordrhein-Westfalen, das bevölkerungsreichste Bundesland, hat bei ca. 18 Mio. Einwohnern einen Landtag von 187 Mitgliedern (96.000 Bürger je Abgeordneter). In Berlin vertreten 160 Abgeordnete rund 3,5 Millionen Berliner (22.000 Bürger je Abgeordneter). Dabei ist auch zu untersuchen, welche Rolle es für das Ausmaß einer gleichwohl noch bürgernahen Repräsentanz spielt, dass Berlin, anders als NRW, als Stadtstaat besonders bürgernahe Verkehrswege ermöglicht.

Die nach der nächsten Abgeordnetenhauswahl (19. WP) möglicherweise noch weiter steigende Zahl von Abgeordneten und deren Mitarbeiterstäben verursacht hohe Kosten im Berliner Landeshaushalt durch Diäten, Pensionsrückstellungen, Kostenpauschalen und Pauschalen/Sozialabgaben für die Mitarbeiter. Daher ist eine unabhängige, sachorientierte und gründliche Bestandsaufnahme notwendig. Es müssen, ohne sich von angeblichen Entscheidungszwängen unter Zeitdruck setzen zu lassen, rationale, wissenschaftlich fundierte Entscheidungsmaßstäbe für die Bemessung sowohl der Größe des Abgeordnetenhauses als auch des Umfangs und der Struktur der finanziellen Leistungen entwickelt werden.

Die anstehenden Herausforderungen unserer Stadt bedürfen keines aufgeblähten Parlaments, sondern einer effektiv arbeitenden Volksvertretung. Aller Erfahrung nach werden komplexe Entscheidungsprozesse durch zu große Parlamente eher verlangsamt als beschleunigt.

5.

Im Rahmen der ohnehin zwingenden Verfassungsänderung wäre ebenfalls zu evaluieren, über welche bestehenden Instrumente repräsentativer Demokratie im Sinne eines „Mehr Demokratie wagen“ hinauszugehen wäre, als da wären: Veränderte Quoren bei Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden, bei Volksbegehren und -entscheiden, die Direktwahl von Exekutivpolitikern, u.a. auch des Regierenden Bürgermeisters .

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